bei Slite
Wieder auf Gotland radle ich über Lärbro nach Slite. Unterwegs komme ich zu einer schönen Orchideenwiese mit vielen Platanthera bifolia, Orchis militaris, Orchis mascula (abblühend), Dactylorhiza incarnata, Neottia ovata und auch der ersten Fliegen-Ragwurz (Ophrys insectifera). Mein Zelt schlage ich auf dem Campingplatz von Slite auf, am südlichen Ende der von einem großen Zementwerk geprägten Kleinstadt.
Am 4. Juni hat das Fahrrad Ruhetag, weil ich zu Fuß unterwegs sein will. In der Uferzone des Sees Bogeviken. Hier blüht ein besonderes Knabenkraut, das Mikael Hedrén und Henrik Æ. Pedersen 2012 als Dactylorhiza majalis subsp. elatior beschrieben haben, auf Schwedisch auch Gotlandsnycklar genannt, das Gotland-Knabenkraut. Die ungefleckten Blätter sind schmal, kaum gekielt, und strecken sich nach oben. Die violetten Blüten haben dreigeteilte, relativ breite Lippen mit einem markanten Schleifenmuster, der Sporn ist leicht nach unten gerichtet. Die Art ist aus einer Hybridbildung von Dactylorhiza incarnata und Dactylorhiza fuchsii hervorgegangen - diese beiden kommen hier häufig vor.
Ich laufe weiter und komme an ausgedehnten Wiesen vorbei. Neben den häufigen Arten der Region treffe ich hier auch auf ein schlankes Knabenkraut mit schmalen gefleckten Blättern und locker besetztem Blütenstand, bei dem es sich um Traunsteiners Knabenkraut (Dactylorhiza traunsteineri) handeln sollte. Auch Tragblätter und Sporn sind auffallend schmal, was der Pflanze eine elegante Erscheinung verleiht. Die Einzelblüten sind groß, die Lippen dreigeteilt, mit markantem Scheifenmuster bis in die Spitze des leicht vorgezogenen Mittellappens hinein.
Auf einer Wacholderheide blühen zwölf verschiedene Arten. Dactylorhiza fuchsii und Gymnadenia conopsea sind gerade aufblühend. Orchis militaris ist schon fast in Hochblüte, Dactylorhiza incarnata ist am weitesten in der Blüte. In der Begleitflora fällt mir das Kleine Mädesüß (Filipendula vulgaris) auf, dessen rötliche Knospen einen hübschen Kontrast zu den weißen Blüten bilden.
Mein Weg führt mich weiter nach Klinteklinten, einer wildromantischen Anhöhe mit ausdrucksvollen Raukaren, von der Erosion gezeichneten Kalkfelsen.
Von dort aus führt mich ein Waldweg nach Osten zur Küste, vorbei an vielen Dactylorhiza fuchsii, die gerade erst aufblühen.
Am Meer blühen dann ungewöhnlich hochgewachsene Dactylorhiza majalis subsp. elatior, die ihrem Namen (elatior bedeutet so viel wie emporgehoben) alle Ehre machen. Die größte Pflanze ist gut 60 cm hoch gewachsen.
Auf dem schmalen Küstenweg zurück nach Slite sehe ich eine Orchidee, die gerade ihre Knospen austreibt - das ist wohl eine Grünliche Waldhyazinthe (Platanthera chloranta).
Und direkt aus dem Geröll verwitterter Kalksteine wachsen schön geformte Epipactis atrorubens.
Ausflug ins Naturreservat Kallgatburg
Am nächsten Tag breche ich zu einer Fahrrad-Rundfahrt westlich von Slite auf. In einem feuchten Graben voller Schachtelhalme (Equisetum fluviatile) blühen gelbe Dactylorhiza incarnata. Auf der anschließenden Wiese studiere ich weitere Ausprägungen dieser auf Gotland sehr häufigen Orchidee, darunter eine Albiflora-Form und eine Pflanze mit doppeltem Blütenstand.
Im locker sich anschließenden Kiefernwald blühen auch Platanthera bifolia und Dactylorhiza fuchsii, zusammen mit Geum rivale, Geranium sanguineum und Filipendula vulgaris). Mein Ziel ist das Naturreservat Kallgatburg bei Hejnum.
Über einen Bohlenweg gelange ich zu einer Moorwiese mit Dactylorhiza traunsteineri. Im Unterschied zu den Pflanzen von gestern haben diese einen kegelförmig verdickten Sporn und erinnern mich mehr an die Traunsteineri-Orchideen im Alpenraum. Sie wachsen zusammen mit Wollgras (Eriophorum latifolium) und der Simsenlilie (Tofielda calyculata), die als Kalkanzeiger gilt und hier im Unterschied zu den erst knospenden Exemplaren an der Küste im Norden bereits aufblüht. Weiter geht der schmale Pfad vorbei an Dactylorhiza incarnata, Dactylorhiza fuchsii, Orchis mascula, Platanthera bifolia und Gymnadenia conopsea bis zu einem Wegweiser, der zu einem vielfach bestaunten Ziel führt, einer kleinen Kolonie von Frauenschuhen (Cypripedium calceolus) im Kiefernwald. Sie sind schon am Verblühen, aber immer noch schön anzusehen.
Wieder zurück ins Naturreservat fliegt ein Skabiosen-Scheckenfalter (Euphydryas aurinia), ein Väddnätfjäril, auf eine Dactylorhiza traunsteineri. Ein Rotschenkel klagt vielleicht, dass die feuchten Wiesen in diesem Sommer zum großen Teil ausgetrocknet sind.
Der Holzbohlenweg durch das Naturreservat führt aber dann doch noch an einer nassen Moorwiese mit Langblättrigem Sonnentau (Drosera anglica) vorbei. Die zuckerhaltigen Sekret-Tropfen am Ende der rötlichen Tentakeln glitzern in der Sonne.
Zurück radle ich über Tingstäde und folge noch eine Weile einem schmalen Weg am Ostufer des Tingstädeträsk, des zweitgrößten Sees von Gotland. Dort gibt es einen Hinweis auf einen Standort mit Brandknabenkraut (Neotinea ustulata). Aber die Wacholderheide dort ist so ausgetrocknet, dass hier nur noch der Scharfe Mauerpfeffer (Sedum acre) gedeiht.
Von Slite nach Ljugarn
Auf der Weiterfahrt nach Süden überrascht mich eine Gruppe mit Roten Waldvögelein (Cephalanthera rubra). Die Pflanzen am Rand eines auf Gotland eher seltenen Fichtenwalds blühen gerade erst auf. Bald darauf komme ich an der Kirche von Gothem vorbei, die im 13. Jahrhundert gebaut wurde. Südlich davon blühen am Rand eines Kiefernwalds Orchis militaris, Dactylorhiza incarnata, Neottia ovata und Ophrys insectifera. Gymnadenia conopsea treibt erst ihre Knospen aus. Am Nachmittag schlage ich für zwei Nächte das Zelt auf dem Campingplatz von Ljugarn auf, in einem lockeren Kiefernwald direkt am Meer. Hier knospen Epipactis helleborine und eine weitere Epipactis-Art direkt auf dem Zeltplatz und ich bitte den Betreiber, auf die besonderen Pflanzen zu achten.
Gemeindewiesen: Ängar
Am 7. Juni laufe ich zunächst in das Naturreservat Folhammar und schaue mir die Raukare dort an.
Dann breche ich ohne Gepäck zu einem Ausflug nach Nordosten auf, zur Halbinsel Östergarn. Mein Ziel sind zwei besondere Wiesen, auf Schwedisch Ängar genannt. Das sind ausgedehnte Wiesen mit einem lockeren Baumbestand, die der Gemeinde gehörten und von den Bewohnern für Heu und zum Sammeln von Laub genutzt wurden. Deswegen werden sie auch als Laubheuwiesen bezeichnet.
Die erste, etwa 1,5 Hektar große Wiese liegt bei Ardre und heißt Mullvalds Änge. Sie wurde von 1694 bis 1922 genutzt, um Heu für die Viehfütterung im Winter zu sammeln. Hier blühen Hunderte von Gymnadenia conopsea, darunter auch eine Albiflora-Form, zusammen mit Orchis militaris, Orchis mascula, Platanthera bifolia und Neottia ovata. Zur Begleitflora gehören der Klappertopf (Rhinanthus minor), Bach-Nelkenwurz (Geum rivale), Storchschnabel (Geranium sanguineum) und die Einbeere (Paris quadrifolia).
Nach langem Suchen entdecke ich auch die Grüne Hohklzunge (Dactylorhiza viridis), eine kleine Gruppe von etwa vier Pflanzen. Die Lippe ist ganz grün, ohne die rötliche Färbung, wie ich sie bei Pflanzen dieser Art in den Dolomiten oder den Vogesen gesehen habe. Ich setze mich für eine Zeichnung ins Gras, werde eine Zeitlang zum Teil der Wiese.
Weiter fahre ich nach Östergarn, zu einer 4,1 Hektar großen Wiese, die 1741 Carl von Linné besucht hat. In seinem Bericht schwärmte er von härliga åkrar och ängar, de gröne lundar - schönen Feldern und Wiesen, grünen Hainen. Hier blühen zahllose Gymnadenia conopsea, außerdem Orchis mascula, Dactylorhiza fuchsii und Plantanthera bifolia.
Und hier finde ich nun auch das Brand-Knabenkraut in schönen Beständen.
Eine dritte Änge studieren ich am nächsten Tag, dem 8. Juni auf der Weiterfahrt Richtung Süden: Die Käldänge, eine 2,9 Hektar große Wiese, liegt nahe der Ortschaft Garde. Zuvor komme ich an der im 13. Jahrhundert gebauten Kirche von Alskog vorbei.
Hier blühen Gymnadenia conopsea zusammen mit Orchis mascula, Dactylorhiza fuchsii und Neottia ovata. Alle drei Wiesen stehen in sattem Grün, zeigen nicht so krasse Folgen der Trockenheit wie die Wacholderheiden. Feuchte Stellen lassen vermuten, dass hier das Grundwasser ziemlich hoch liegt. Das kommt auch Pflanzen zugute, die auf feuchte Wiesen angewiesen sind wie der Große Wiesenknopf (Sanguisorba officinalis) oder die Kuckuckslichtnelke (Lychnis flos-cuculi). Zur Begleitflora gehören auch der Große Klappertopf (Rhinanthus serotinus).