Mit seinen rund 1000 bisher beschriebenen Orchideenarten ist Madagaskar schon immer ein Traumziel gewesen. Im Februar 2025 darf ich den Traum in die Wirklichkeit bringen. Die Erkundung von tropischen Orchideen in Ruanda in den Jahren 2019 und 2022 hat mich erstmals in diese faszinierende botanische Welt eingeführt. Aber die Insel vor der afrikanischen Küste ist nochmal ganz anders. Orchideen stellen die größte Pflanzenfamilie auf Madagaskar. Und 83 Prozent der Arten sind endemisch. Noch ausgeprägter ist dies bei den 210 beschriebenen Arten der Gattung Bulbophyllum - von diesen kommen 98 Prozent nur auf Madagaskar vor.
Allgemein wird davon abgeraten, das Land auf eigene Faust zu erkunden - allein schon, weil die Straßen in schlechtem Zustand sind. Besonders in der Regenzeit sind viele Regenwaldgebiete nur mit großer Mühe zu erreichen. So bereite ich die Reise zusammen mit dem örtlichen Veranstalter Malagasya Travel vor - dort war Nary gleich sehr engagiert und Miantsa war während der Reise eine große Hilfe. Gleich nach der Ankunft in der Hauptstadt Antananarivo holen mich der Guide Lova und der Fahrer Naina auf dem Flughafen ab. Zu dritt werden wir zwei Wochen lang zu den Orchideen von Madagaskar reisen.
Als Bestimmungshilfen unterwegs dienen die Bücher von Jean Bosser und Marcel Lecoufle (Les Orchidées de Madagascar, 2011) und Jean-Michel Hervouet (À la recherche des Orchidées de Madagascar, 2018).
Bei der Überprüfung der Bestimmungen nach der Reise waren außerdem die Web-Plattformen von inaturalist.org mit dem Projekt Zavamaniry Gasy sowie der Global Biodiversity Information Facility (GBIF) sehr hilfreich.
Im Wald von Anjozorobe
Unser erstes Ziel ist am 2. Februar das nordöstlich der Hauptstadt gelegene Schutzgebiet Anjozorobe-Angavo. Als wir auf einer unbefestigten Straße einen Bach überqueren, entdeckt Lova in einem Strauch einen Giraffenhalskäfer (Trachelophorus giraffa). Das endemische Insekt mit der auffallend roten Flügeldecke rollt gerade für die Eiablage das Blatt eines Strauchs aus der Familie der Schwarzmundgewächse (Melastomataceae) zusammen. Nach der Ankunft an einer Siedlung von Holzhütten geht es nur noch zu Fuß weiter, bis wir die im Bachtal gelegene Akiba Lodge erreichen.
Dort begrüßt uns ein erstes Chamäleon im Baum vor meiner Hütte, das Kurzhorn-Chamäleon (Calumma brevicorne). Außerdem treffen wir unsere örtlichen Waldführer, Essence und Zach. Die Begleitung solcher local guides ist in jedem geschützten Gebiet auf Madagaskar vorgeschrieben - und durchaus sinnvoll, weil sie die Wege und die Natur in ihrem Gebiet sehr gut kennen. Schnell stoßen wir auf die ersten epiphytischen Orchideen, die sich ohne Blüte kaum bestimmen lassen. Dann fällt mir ein Geflecht dünner grüner Zweige auf: Rhipsalis baccifera ist die einzige Kakteenart außerhalb von Amerika.
Und dann sehen wir auch eine erste blühende Orchidee! Sie gehört zur Gattung Polystachya, die ich schon in Ruanda kennengelernt habe. Sie hat kleine weiße Blüten an einem langen Blütenstand, der zusammen mit einem Laubblatt aus der schmalen Pseudobulbe wächst. Polystachya cultriformis ist die wohl häufigste Art dieser Gattung in den madagassischen Regenwäldern.
Oberonia disticha liebt altes Holz mit Moos zur Speicherung der Feuchtigkeit. Zuerst sehen wir diese Orchidee nur mit kleinen Früchten vom vergangenen Jahr, aufgereiht an einem zarten Stiel. Doch dann entdecken wir sie auch mit frischen Blüten - zahllos, winzig und zartgelb an langen, herabhängenden Blütenständen.
Oberonia ist nach dem Elfenkönig Oberon benannt - die winzig kleinen Blüten haben den englischen Botaniker John Lindley (1799-1865) an Elfen erinnert. Die Gattung umfasst etwa 270 Arten in Afrika, Südasien und Australien. Oberonia disticha ist die einzige Art der Gattung auf Madagaskar.
Ich knüpfe erste Bekanntschaft mit Aerangis citrata, einer der häufigsten Orchideen auf Madagaskar, die mich auf der Reise noch weiter begleiten wird. Das erste Angraecum, das wir sehen, hat zwar keine Blüte, ist aber mit seinen wechselständigen dicken Blättern gut zu erkennen als Angraecum compactum.
Sehr besonders sind die dichten Pflanzenteppiche von Bulbophyllum conchidioides - diese kleinen Orchideen bedecken alte Holzstämme. Die kleinen weißen Blüten sind fast transparent.
Auch ein erstes Springkraut sehen wir, mit leuchtend rosa Blüte, das ist die endemische Impatiens firmula.
Nach dem Dunkelwerden gehen wir auf eine kleine Nachtwanderung. Wir sehen den Madagaskar-Laubfrosch (Boophis madagascariensis), weitere Chamäleons, einen Maus-Maki und Stabheuschrecken.
Ein Vogelpärchen verbringt die Nacht dicht zusammengedrängt: Der Kurzschnabel-Madagaskarsänger (Xanthomixis zosterops) ist eine endemische Regenwald-Art. Die Kunst der Phytomimese, der Tarnung mit Hilfe der Angleichung an Pflanzen, zeigt ein Blattinsekt (Wandelndes Blatt) aus der Familie der Phylliidae.
Danach bekommen wir noch ein gutes Abendessen in der Akiba Lodge. In der Nacht prasselt starker Regen ununterbrochen auf das Dach meiner Hütte.
Am Morgen hat der Regen endlich aufgehört. Darüber freut sich nicht nur der endemische Madagaskar-Commodore (Precis andremiaja). Schließlich wollen wir einen ganzen Tag im Schutzgebiet Anjozorobe-Angavo verbringen. Im Bachgrund vor der Lodge wächst ein Kaffeebaum. Und auf dem Talweg sehen wir an einer feuchten Felswand Sonnentau: Drosera madagascariensis hat rundliche bis längliche Blätter mit leuchtenden Drüsenhaaren. Gleich danach macht uns Essence auf eine grün blühende Orchidee aufmerksam: Das auch in Mosambik verbreitete Angraecum calceolus wächst hier auf Felsengestein. Der Blütenstand ist reich verästelt. Die Blätter sind relativ lang, eher dunkelgrün und breit.
Auf einem Wiesenhang sehen wir die Madagaskar-Hakennasennatter (Leioheterodon madagascariensis). Sie schlängelt und züngelt sich schnell durchs Gras und richtet sich manchmal auf.
Danach gelangen wir in etwa 1300 Metern Meereshöhe in einen dichten Regenwald. Unsere ersten Entdeckungen sind epiphytische Orchideen, deren Bestimmung ohne Blüte oft schwierig ist. Wir treffen Aerangis citrata wieder, mit einem reich besetzten Blütenstand - ich zähle sechs Blüten und acht Knospen. Diese Art ist recht häufig hier. Wir sehen auch einige Pflanzen, die erst ihre Knospen entwickelt haben.
Zikaden, Frösche und Vögel hüllen mich in eine einzigartige Soundkulisse ein:
Langsam gehe ich Schritt für Schritt durch den Wald. Dominierende Baumart ist der etwa zwei Meter große Drachenblutbaum (Harungana madagascariensis) mit einem strauchartigen Wuchs. Wir sehen an einem Baum eine Orchidee mit zarten Wurzeln, die sich an den Stamm schmiegen, mit grasartigen Blättern und einer Fruchtkapsel. Das ist ein Angraecum linearifolium.
Mittags stürzt ein heftiger Regen über uns herein. Ich packe die beiden Kameras in den regendichten Seesack, der Rucksack selbst muss halt nass werden, während wir mit schnellen Schritten in die Lodge zurückkehren. Nach der Regenpause können wir die Exkursion fortsetzen und steigen hinter den Bungalows in einen Kiefernwald hinauf. Auf der Höhe angekommen wird der Wald lockerer, fast heideähnlich und überrascht uns mit einer besonderen Polystachya-Blütenpracht. Polystachya oreocharis blüht gelb-orange bis rötlich, Polystachya rosea in einem leuchtenden Rosa-Violett und Polystachya henrici in einem zarten Gelb.
Dann gelangen wir wieder in einen dichteren und feuchten Wald mit zahlreichen epiphytischen Orchideen. Viele können wir nicht bestimmen. Aber wir sehen auch wieder Angraecum linearifolium mit Früchten.
Sehr besonders sehen die kleinen Blüten von Polystachya humbertii aus - sie haben eine dreigeteilte gelbe Lippe, die aufwärts gerichtet ist, die Sepalen und Pedalen sind weiß, das Gynostemium hat eine violette Spitze. Benannt wurde die Art 1936 nach dem französischen Botaniker Henri Jean Humbert (1887-1967), der 1912 zum ersten Mal nach Madagaskar kam. Zusammen mit Joseph Marie Henry Alfred Perrier de la Bâthie (1873-1958), der Polystachya humbertii wissenschaftlich beschrieb, wirkte Humbert maßgeblich an dem Werk Flore de Madagascar et des Comores mit.
Und wir entdecken Bulbophyllum peyrotii, benannt nach dem Arzt Jean-Pierre Peyrot, der zusammen mit dem Botaniker Jean Bosser auf Orchideensuche war, welcher die Art 1965 beschrieb. Die Pflanze hat zwei kleine rundliche Blätter mit ausgeprägter Mittelkerbe, die aus einer herzförmigen, gelblichen Pseudobulbe wachsen. Der Blütenstand trägt zehn bis zwölf helle Blüten, die mit zahllosen dunkelpurpurnen Punkten übersät sind. Die Art ist hier relativ häufig, wir sehen sie aber nur einmal mit den besonderen Blüten.
Noch kleiner ist ein gerade knospendes Bulbophyllum mit einem schlanken Blatt aus der rundlichen, abgeflachten Pseudobulbe. Der lange Blütenstand trägt mehr als 20 dunkelviolette Knospen. Dies ist Bulbophyllum boiteaui. Henri Perrier de la Bâthie beschrieb die Art 1939 anhand einer Pflanze im Botanischen Museum von Antananarivo, die dessen Direktor Pierre Boiteau (1911-1980) im Regenwald gesammelt hatte.
Einen Blütentrieb treibt Bulbophyllum coriophorum aus, die kantigen Pseudobulben tragen jeweils zwei Blätter.
Andere Orchideen müssen unbestimmt bleiben, sind aber auch ohne Blüte aufregend schön. Eine Polystachya virescens treibt neben Früchten einen neuen Blütenstand mit Knospen aus. Aber das besondere Polystachya-Seminar im Wald von Anjozorobe ist noch nicht beendet: Zum Abschluss treffen wir Polystachya fusiformis mit einem verzweigten Blütenstand und kleinen grünliche Blüten.
An Gestalt und Stellung der Blätter und der relativ zur Pflanze recht großen, hier noch grünen Frucht ist Angraecum didieri zu erkennen.
Eine schöne gelbe Blüte trägt ein kleines Bulbophyllum, das eine braune Pseudobulbe mit jeweils einem kleinen Blatt hat. Alles Blättern in den Bestimmungsbüchern gibt keinen Aufschluss zu seiner Identität, so dass es vorerst namenlos bleiben muss. Wieder daheim frage ich Johan Hermans von den Londoner Kew Gardens danach. Er kennt die Pflanze auch nicht und vermutet, dass sie zur Bulbophyllum-Sektion Loxosepalum gehört.
Zum Abschluss unseres Ausflugs sitzen wir am Abend in der Akiba Lodge noch zu Bier und Limo zusammen.
Im Wald von Analamazaotra
Am 4. Februar verabschieden wir uns von der Lodge und von Anjozorobe. Wir fahren zuerst wieder auf der RN3 zurück nach Süden, vorbei an zahllosen Reisfeldern, und gelangen dann auf die RN2, der wir nach Osten folgen. Unterwegs begleitet uns immer wieder der Madagaskar-Weber (Foudia madagascariensis). Die knallroten Vögel fliegen in Schwärmen von Baum zu Baum. Im Tal des Flusses Mandraka machen wir Halt an einer Felswand. Dort blüht eine Polystachya concreta, die hier lithophytisch, also auf Felsgrund, wächst. An einem Hang blühen zahlreiche Cynorkis fastigiata, darunter eine Blüte mit untypischer Lippenform.
Danach gelangen wir zur Reserve Peyrieras, einem weitläufigen Gelände, in dem Lemuren, Chamäleons und Frösche gehalten werden. Auf Madagaskar lebt etwa die Hälfte der weltweit rund 200 Chamäleon-Arten. Die etwa 30 Arten der Gattung Brookesia leben auf der Erde und haben einen kurzen Stummelschwanz. Auf Bäumen unterwegs sind die 37 Calumma-Arten, die alle endemisch sind. Auch die 22 Arten der Gattung Furcifer leben auf Bäumen, darunter das farbenprächtige Panther-Chamäleon (Furcifer pardalis). In den Mythologien der madegassischen Völker gilt das Chamäleon als Symbol des ewigen Lebens.
Aber natürlich schaue ich auch hier nach den Pflanzen und entdecke ein regennasses Angraecum calceolus. Auch eine Impatiens firmula blüht am Boden.
Am späten Nachmittag treffen wir bei Andasibe in der Lodge Amoron’ny Ala (der Name bedeutet etwa „am Wald“) ein - gerade rechtzeitig, um unseren Guide Tina für den Nationalpark Analamazaotra zu treffen und eine kleine Nachtwanderung zu unternehmen. Ich beobachte eine Spinne auf Zikadenjagd, einen Mausmaki (Microcebus rufus), den Schwarzen Madagaskar-Skorpion (Grosphus madagascariensis) und ein Chamäleon.
Am 5. Februar weckt mich der Gesang der Madagaskar-Stelze (Motacilla flaviventris).
Nach dem von Niry bereiteten Frühstück treffen wir uns mit Tina, die uns zuerst den kleinen Orchideenpark an einer Waldlichtung zeigt - hier wurden einige Orchideenpflanzen auf Bäumen angesiedelt, die in anderen Regionen von Madagaskar einem Bauprojekt weichen mussten. Dazu gehört eine große grüne Blüte von Aeranthes ramosa, die an einem langen Stängel herabhängt. Und ein sehr großes Bulbophyllum mit einer schönen Blütentraube - Bulbophyllum hamelinii.
Danach steigen wir tiefer in den Regenwald hinein. An den Ästen mehrerer Bäume hängt eine Orchidee ohne Blätter, nur mit Luftwurzeln und hübschen filigranen Blüten. Die weißen Blütenblätter von Microcoelia macrantha sind fast transparent, mit einem hellgrünen Fleck auf dem Stempel und am Grund der Lippe. Der kurze Sporn ist am Ende verdickt.
Wir betrachten einige Bulbophyllum-Arten, die wir nicht bestimmen können. Besonders eindrucksvoll ist eine Reihe von Pseudobulben auf einem Ast, die zum Teil ausgetrocknet sind. Aber am Grund einer solchen Bulbe treiben frische grüne Blätter hervor. Eine Polystachya auf einem Baumast trägt einen Blütenstand mit rötlichen Knospen. Auf vielen Ästen blüht Oberonia disticha. Dazwischen wachsen epiphytische Farne wie Asplenium mauritianum. Eine besondere Entdeckung ist das kleine Angraecum rubellum, das wir erst mit Knospen, dann auch aufgeblüht sehen. Die Pflanze ist nach Einschätzung der International Union for Conservation of Nature (IUCN) vom Aussterben bedroht.
Die Soundkulisse im Regenwald von Analamazaotra ist ähnlich wie in Anjozorobe und doch auch ganz anders.
In den ewigen Singsang der Zikaden mischen sich die Stimmen von Papageien, die Klagelaute des Indri, der größten Lemurenart von Madagaskar, und das Grunzen eines Braunlemuren (Eulemur fulvus). Ganz still und regungslos liegt hingegen eine Stabschrecke auf der Baumrinde und ist von ihr kaum zu unterscheiden - diese Insekten sind Meister der Camouflage. Bei der Mittagspause überrascht uns eine Gruppe von Braunlemuren - und möchte von meiner Mangofrucht wenigstens die Schale und den Kern haben. Auch der Diademsifaki (Propithecus diadema) hangelt sich mit seiner weißen Gesichtskrause und seinen goldbraunen Fellarmen und -beinen von Baum zu Baum.
Am Nachmittag laufen wir hinter dem Nationalparkhaus, westlich der Straße, auf schmalem Pfad durch den Wald. Zuerst sehen wir ein Angraecum mit wechselständigen Blättern und einer weißen Knospe mit langem Sporn. Dies müsste Angraecum mauritianum sein. Die Vermutung bestätigt sich, als wir später auch Pflanzen in voller Blüte und mit frischen Früchten sehen. Die weißen Blüten haben einen etwa acht Zentimeter langen, mit Nektar gefüllten Sporn. Die Art ist nach der östlich von Madagaskar gelegenen Insel Mauritius benannt.
Hingegen hat Angraecum didieri eher kurze Blätter, die aus einem dicken Trieb wachsen. Nachdem wir im Wald von Anjozorobe bereits eine Pflanze mit Früchten gesehen hatten, finden wir nun auch ein knospendes Angraecum didieri. Der Name der Art erinnert an den französischen Naturforscher Alfred Grandidier (1836-1921).
Eine weitere Orchidee hat lange spitze Blätter, fächerartig ausgestreckt und eine kleine gelbe Blüte mit einem gut zwei Zentimeter langen Sporn. Dies ist Angraecum ferkoanum. Der deutsche Botaniker Rudolf Schlechter (1872-1925) benannte die Pflanze 1918 nach dem Mailänder Unternehmer Paolo Ferko, der Orchideen aus Madagaskar von einem Sammler namens Laggiara erhielt, kultivierte und an ihn nach Berlin schickte.
Angraecum ferkoanum können wir schön aus der Nähe studieren, während wir bei der nächsten Entdeckung den Hals nach oben recken müssen. In der Höhe blüht ein Bulbophyllum longiflorum. Das mittlere Sepalum hat ein intensives Rot und an der Spitze noch einen feinen langen Faden - ebenso wie die roten Pedalen. Die Lippe ist langgestreckt und spitz, mit roten Flecken auf gelbem Grund. Die Art ist weit verbreitet und wächst auch in Afrika, Neuguinea und Nordaustralien. Später finden wir noch eine Pflanze dieser Art, bei der sich die Blüten aus der Nähe betrachten lassen.
Wir stoßen auch auf ein Angraecum mit einer sehr besonderen Blüte, die hier ein intensives Orange hat. Sonst ist Angraecum rhynchoglossum meist gelblich oder grün. Sepalen und Pedalen sind sehr dünn, die Lippe ist an der Basis stark eingeschnürt, der Sporn etwa drei Zentimeter lang.
Eine eindrucksvolle Größe hat Angraecum eburneum, mit langen, fächerartig ausgestreckten Blättern.
Unser Besuch im Wald bleibt nicht unbeobachtet. Erst lugt ein kleines grünes Gecko zwischen den kräftigen Blättern einer Aloe hervor, dann schaut nochmal ein Braunlemur hinter einem Baum nach uns.
Wenn bei nicht blühenden Arten die genaue Bestimmung oft kaum möglich ist, gelingt meist wenigstens die Eingrenzung der Gattung. Jetzt lernen wir auch Jumellea kennen, die Schwestergattung von Aeranthes. Beide zusammen sind mit Angraecum verwandt. Die erste Pflanze dieser Gattung, die wir sehen, ist Jumellea punctata - gut zu erkennen an den kleinen schwarzen Punkten am Blattgrund.
Rote Farbe in den Wald bringt Bulbophyllum pleurothallopsis - diese seltene und stark gefährdete Orchidee treibt ein kleines schmales Blatt aus der rundlichen grünen Pseudobulbe. Der zarte Stängel trägt bis zu vier winzige Blüten. In seiner Beschreibung notierte Rudolf Schlechter 1924, dies sei eine der winzigen, schwer zu entdeckenden Arten.
Wolken ziehen auf, und der Wald wird immer dunkler. Bei einem meiner Abstecher seitlich der kleinen Pfade entdecke ich auf einem Baum eine blühende Orchidee mit einem langen Sporn, der kurz hinter der Blüte senkrecht nach unten abknickt. Die weißen Einzelblüten von Jumellea arborescens haben sehr schmale, spitz zulaufende Sepalen und Petalen.
Am 6. Februar verabschiede ich mich von Niry und von Amoron’ny Ala. Wir sind zu einer weiteren kleinen Analamazaotra-Exkursion mit Tina verabredet. Auf dem Weg machen wir in der kleinen Siedlung an der Straße Halt und bewundern eine Eulophia falcigera, eine große Orchidee im Stamm einer Palme, Raphia farinifera. Sie hat zahlreiche große Blüten ausgebildet, deren Sepalen mich in Farbe und Form an Bananen erinnern. Bis 2021 wurde diese Pflanze einer eigenen Gattung namens Cymbidiella zugeordnet - deren drei Arten, alle endemisch für Madagaskar, wurden dann in der Gattung Eulophia integriert.
Unser anschließender Weg beginnt am Gebäude des Mitsinjo-Projekts und führt uns in einem großen Bogen durch den westlichen Teil des Waldes, der nicht als staatlicher Nationalpark, sondern von der örtlichen Organisation Mitsinjo verwaltet wird. Tina macht uns auf ein kleines Bulbophyllum aufmerksam, das für Analamazaotra endemisch ist. Es hat kleine rundliche Pseudobulben, aus denen jeweils ein Blatt wächst. Der Berliner Botaniker Rudolf Schlechter hat die kleine Pflanze nach diesem Wald benannt - sich aber bei dem für deutsche Leser schwierigen Namen vertan. Sein Fehler bei der Beschreibung von Bulbophyllum analamazoatrae im Jahr 1925 blieb unkorrigiert - die Art war schließlich wissenschaftlich gültig beschrieben. Leider sehen wir sie ohne ihre kleinen gelben Blüten.
Aus einer vierkantig geformten Pseudobulbe wachsen die beiden länglichen Blätter von Bulbophyllum occultum. Später sehen wir es auch etwas höher in einem Baum mit seinem charakteristischen Blütenstand - die Brakteen verdecken die kleinen rötlichen Blüten vollständig, was der Orchidee ihren Namen gegeben hat.
Wir schauen uns ein weiteres Bulbophyllum genauer an. Die großen runden und flachen Pseudobulben sind an den Rändern teilweise ziegelrot gefärbt - das ist ein typisches Merkmal für Bulbophyllum occlusum.
Wir sehen erneut Angraecum rhynchoglossum, auch hier mit kräftig orangefarbenen Blüten. Ein Angraecum eburneum trägt frische Früchte. Unbestimmt bleiben weitere Bulbophyllum-Arten, auch wenn sie teilweise sehr charakteristische Pseudobulben haben.
Zum Abschied von diesem besonderen Wald begegnen wir schließlich auch dem Indri (Indri indri), der größten Lemurenart von Madagaskar, dessen Klagerufe unvergessen bleiben.
Am Lac Ampitabe
Nachmittags sind wir wieder auf der Fahrt zu neuen Entdeckungen. Es geht immer weiter nach Osten, zum Indischen Ozean und hinab aus dem Hochland in die tieferen Regionen. Wir folgen der Nationalstraße 2, die erst nach Osten führt und hinter Antsampanana nach Norden schwenkt, in Richtung der Hafenstadt Toamasine, das ehemalige Tamatave der französischen Kolonialzeit. Dort leben die Menschen vielfach in Holzhütten zwischen Bananenstauden und Palmen, die meiste Zeit verbringen die Familien im Freien.
Schließlich biegen wir eine kleine Offroad-Straße nach Manambato ab. Dort machen wir am Lac Rasoabe eine Pause mit Bierchen, bis wir von einem Motorboot abgeholt werden. Dieses tuckert mit uns nach Norden, durch den Pangalan-Kanal und bringt uns zum Lac Ampitabe. Nur ein schmaler Landstrich trennt den See vom Indischen Ozean. Das Boot bringt uns zum Landungssteg der Lodge Akanin’ny Nofy (Palmarium), wo ich mir einen lauschigen Bungalow mit einem Schwarzweißen Vari (Varecia variegata) teile.
Nach einem Bad am frühen Morgen im See begleiten uns die Lemuren auch beim Frühstück. Sie sind so flink, dass sie sich von den Kellnern nicht vertreiben lassen und sich ihren Teil an den Früchten sichern. Dann laufen wir mit Jean-Paul in den Küstenregenwald.
Gleich am Rand der Lodge sehen wir eine große gelblich-grüne Orchideenblüte - Aeranthes grandiflora. Sepalen und Pedalen sind zugespitzt, auch die Lippe. Die Blätter sind groß und lang.
Der Wald auf Meereshöhe hat einen ganz anderen Charakter als Anjozorobe oder Analamazaotra mit mehr als 1000 Höhenmetern. Hier wachsen viele Farne in der Größe von Bäumen, etwa Asplenium nidus oder Asplenium mauritianum. Und es ist drückend heiß.
Gelbliche Blüten hat Angraecum ochraceum - der Sporn ist am Ende etwas verdickt. Der britische Botaniker Henry Nicholas Ridley (1855-1956) beschrieb die Art 1885 als Mystacidium ochraceum, ehe sie 1915 von Rudolf Schlechter als Angraecum ochraceum umbenannt wurde.
Wir treten aus dem Wald heraus und gelangen in eine Heidelandschaft mit Sandboden. Dort verkriecht sich ein Bulbophyllum mit winzigen, dunkelroten Blüten, Bulbophyllum minutum. Die lange, konvex gewölbte Lippe erschauert beim kleinsten Lüftchen und gibt der Blüte den Eindruck eines schwebenden Insekts. Die kleinen, gelblichen und eiförmigen Pseudobulben tragen jeweils zwei rundliche Blätter, die an den Rändern ebenfalls einen rötlichen Ton haben.
An einem Baumstamm hinauf hat sich eine Kolonie von Bulbophyllum-Pflanzen angesiedelt. Die rundlichen, flachen Pseudobulben erinnern an Bulbophyllum peyrotii in den Bergen - aber das an der Küste ansässige Bulbophyllum pervillei hat einen sehr viel längeren und viel dünneren Blütenstand, der noch knospend ist. Benannt ist die Pflanze nach Auguste Pervillé, einem Gärtner des Muséum Nationale d'Histoire Naturelle in Paris, der sie 1853 an der Nordostküste von Madagaskar fand.
Die weiße Blüte einer weiteren Angraecum-Pflanze mit langem Sporn ist etwas angeknabbert, die Blätter sind lang und schmal - eine Bestimmung will mir bislang nicht gelingen.
In eindrucksvoller Größe, aber ohne Blüte bewundern wir Angraecum sesquipedale, die von Charles Darwin (1809-1882) berühmt gemachte Orchidee. In seinem Werk On the various contrivances by which British and foreign orchids are fertilised by insects, and on the good effects of intercrossing (1862) staunte er über die Länge des Blütensporns:
I fear that the reader will be wearied, but I must say a few words on the Angræcum sesquipedale, of which the large six-rayed flowers, like stars formed of snow-white wax, have excited the admiration of travellers in Madagascar. A whip-like green nectary of astonishing length hangs down beneath the labellum. In several flowers sent me by Mr. Bateman I found the nectaries eleven and a half inches long, with only the lower inch and a half filled with very sweet nectar. What can be the use, it may be asked, of a nectary of such disproportional length? We shall, I think, see that the fertilisation of the plant depends on this length and on nectar being contained only within the lower and attenuated extremity. It is, however, surprising that any insect should be able to reach the nectar: our English sphinxes have probosces as long as their bodies: but in Madagascar there must be moths with probosces capable of extension to a length of between ten and eleven inches!
Der von Darwin angenommene Nachtfalter mit einem ähnlich langen Rüssel wie der Sporn von Angraecum sesquipedale wurde 1903 dann tatsächlich entdeckt: Xanthopan morgani subsp. praedicta. Hauptblütezeit ist von August bis Oktober - zwischen den Blätter der von uns gefundenen Pflanze ist noch eine verblühte Blüte zu sehen.
Bulbophyllum erectum streckt eine lange Ähre mit Früchten in den Wald. Die Pseudobulben sind vierkantig und tragen jeweils ein längliches Blatt mit ausgeprägtem Mittelnerv. Die Pflanze wurde 1822 von Louis Marie Aubert du Petit-Thouars (1758-1831) in seinem Werk Histoire particulière des plantes orchidées recueillies sur les trois îles australes d’Afrique zum ersten Mal dargestellt.
Angraecum calceolus hat hier Blüten, die an Angraecum rhynchoglossum erinnern - aber die Blätter sind bei beiden Arten sehr unterschiedlich, und bei calceolus ist der Sporn weniger lang als bei rhynchoglossum.
Am Seeufer legen wir eine Pause ein, ein Bad bietet hochwillkommene Abkühlung. Hinter dem See ist die Ozeanbrandung zu hören. Wir laufen weiter am Westufer des Ampitabe-Sees und sehen in den auf einem Blatt schlummernden Madagaskar-Riedfrosch (Heteruxalus madagascariensis).
Ein Fischerpaar legt im See Netze aus, später treffe ich die junge Frau namens Peti mit ihrem Sohn. Sie gehören zur Volksgruppe der Betsimisaraka, der zweitgrößten Ethnie in Madagaskar nach den Merina in der Hauptstadtregion.
In einem kleinen Feuchtgebiet wachsen die beiden Kannenpflanzen-Arten von Madagaskar, die trichterförmige Nepenthes masoalensis und die bauchige, hier intensiv rot gefärbte Nepenthes madagascariensis.
Dann lassen wir uns vom Bootstaxi nach Palladium Beach bringen. Dort bekommen wir ein Mittagessen. Leonce singt uns auf der Gitarre madagassische Lieder, Lova stimmt auf der Mundharmonika mit ein.
Am Treppenaufgang der Anlage blüht eine Aeranthes grandiflora. Nachmittags laufen wir weiter durch den Küstenregenwald. Auf einem Baum mit Rhipsalis hält sich ein Stachelleguan der Gattung Oplurus auf.
Ein besonderer Farn ist Microsorum scolopendria - manche Blätter wirken wie menschliche Figuren.
Mit wechselständigen langen und sehr schmalen Blättern wächst ein Angraecum an einem Baum, das in einer Blattachse gerade eine kleine Knospe entwickelt - Angraecum filicornu. Die Pflanze gleicht genau der Zeichnung im 1822, oben schon aufgeführten Werk von Thouars. Diese Orchidee entwickelt weiße Blüten mit einem etwa zehn Zentimeter langen Sporn. Zum Abschluss unserer Wege durch den Küstenregenwald begegnen wir erneut Angraecum mauritianum. Mit ihren zarten Luftwurzeln scheint die Pflanze in der Luft zu schweben.
Am nächsten Morgen holt uns das Bootstaxi ab und wir verabschieden uns von Akanin'ny Nofy und vom Lac Ampitabe. Es regnet heftig, eine melancholische Stimmung legt sich über den See.
Unterwegs
Der 8. Februar ist gefüllt mit einer langen Autofahrt zurück in die Hauptstadt Antananarivo.
Westlich von Moramanga machen wir Halt an einem Felshang und sehen dort erneut die recht häufige Cynorkis fastigiata sowie auf eine auf felsigem Grund wachsende Polystachya concreta. Und dann ist da noch ein unbekanntes Blümchen, das auf den ersten Blick gar nicht wie eine Orchidee aussieht, sondern wie eine Pflanze mit zwei Blütenblättern. Sepalen und Pedalen haben sich zu einem Helm von weißer Farbe zusammengeschlossen. Die zweigeteilte Lippe hat ein purpurnes Muster und eine feine grüne Maserung. Das ist Disperis hildebrandtii, benannt nach dem deutschen Botaniker Johann Maria Hildebrandt (1847-1881). Das Typusexemplar der von ihm gesammelten Pflanze befindet sich im Herbarium der Royal Botanic Gardens Kew (http://specimens.kew.org/herbarium/K000214241 © copyright of the Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew). Hildebrandt notierte zum Standort: "An Bächen, stellenweise" - die Pflanze liebt es feuchter und hat sich hier am Straßenrand in einem Graben niedergelassen.
Am frühen Abend treffen wir nach anstrengender Fahrt im Hotel Amontana in Antananarivo ein. Am nächsten Morgen geht es nach Süden, unser Ziel ist zunächst die Stadt Antsirabe. Unterwegs machen wir eine Pause an einem felsigen Hang. Dort lerne ich in 1590 m Höhe Cynorkis speciosa kennen, die ähnlich blüht wie Cynorkis fastigiata, aber grüne Sepalen hat.
In Antsirabe kommen wir im Hotel Arotel unter und unternehmen dann einen Ausflug zum Kratersee des Vulkans Andrakiba. Dort sehen wir weitere Cynorkis speciosa zusammen mit den ursprünglich aus Japan stammenden Osterlilien (Lilium longiflorum) sowie Scharlachrotem Salbei (Salvia coccinea).
Am 10. Februar verabschieden wir uns von Antsirabe und folgen der RN7 nach Süden. Südlich des Dorfs Ambohimanjaka steigen wir am Straßenrand an einer Felswand in die Höhe. Am Hang wachsen Cynorkis speciosa. Weiter oben treffen wir überraschend in 1400 Metern Meereshöhe auf eine besonders hoch gewachsene Orchidee: Eulophia plantaginea hat große, aufrecht stehende, breite Blätter, einen lang gestreckten Blütenstand mit etwa 14 Blüten und Knospen. Die Lippe ist vorgestreckt mit einem rötlichen Linienmuster, das Perigon ist grün, und die Blüte hat einen kleinen dicken Sporn. In einer locker bewaldeten Heidelandschaft haben Termiten ihre Lehmkegel errichtet. Hier wächst auch die gelb blühende Cynorkis flexuosa.
Auf dem Inselberg
Auf der Weiterfahrt besuchen wir einige Kilometer vor dem Dorf Ambatofitorahana das Schutzgebiet Ankazomivady (der Name bedeutet so viel wie „zwei verheiratete Bäume“). Wir werden von zwei local guides begrüßt, denen sich der kleine Michele anschließt. Wir laufen durch einen Wald mit einigen epiphytischen Orchideen, darunter eine kleine blühende Polystachya cultriformis, die zum Teil bereits Früchte ausbildet.
Bei einer weißen Blüte denke ich zuerst an ein kleines Impatiens - bis ich die Luftwurzeln der an einem Zweig nach oben kletternden Pflanze sehe - das ist Oeonia rosea - der nur auf Madagaskar und Nachbarinseln vertretenen Gattung gehören sechs Arten an.
Dann treten wir aus dem Wald heraus und sehen einen eindrucksvollen Inselberg vor uns. Wir laufen durch eine niedrige Vegetation auf ihn zu, aber an einer besonderen Blütenpflanze muss ich erst mal Halt machen. Schließlich gibt es hier die erste Passionsblume, die ich sehe, die weiß blühende Passiflora subpeltata.
In einem Strauchgehölz versteckt blüht in intensivem Rot Cynorkis gibbosa. Sehr besonders sind auch ihre gefleckten Blätter.
Eine große Überraschung wartet auf uns, als wir auf dem Buckelfelsen höher hinaufsteigen. Gut einen halben Meter hoch erstreckt sich auf Luftwurzeln Aerangis ellisii. Aus den parallel angeordneten festen Blättern reckt sich ein langer Blütenstand mit weißen Knospen, die einen langen Sporn haben. Ein paar Meter weiter sehen wir die aufgeblühte Pflanze, mit schmaler Lippe und zurückgeschlagen Sepalen und Petalen. Die Pflanze ist benannt nach dem englischen Missionar William Ellis (1794-1872).
Dieser beschrieb in seinen Aufzeichnungen die Besonderheiten der Wälder auf Madagaskar:
"The vast extent, the unbroken solitude and gloom of its impenetrable forests, where, under the continued influence of a tropical sun and a humid atmosphere, the growth and decay of vegetation, in its most uncontrolled spontaneity, has proceeded without interruption for centuries, present scenes of extensive and gigantic vegetation, in sublime and varied forms, rarely, perhaps, surpassed in any part of the world. ... The difficulty of exploring these forests, however inviting to the botanist by their promise of novelty, variety, and value, is incalculable."
Eine wunderschöne weiße Blüte hat Angraecum sororium. Zwischen Sukkulenten wie Aloe capitata und Calanchoe tomentosa blühen einige dieser großen Orchideen, etliche auch mit Knospen.
Die Aloe wird vielfach in der traditionellen Medizin verwendet - so begegnen wir auf dem Weg nach Ankazomivady in einem Dorf einer Frau, die Blätter von Aloe capitata eingekauft hat.
Ebenfalls auf dem Felsen wächst das kleine Angraecum rutenbergianum. Es hat eine ähnliche Blattstruktur wie Angraecum didieri und blüht wie dieses weiß. Die Pflanze hier ist schon verblüht und trägt nun eine dicke Frucht. Diese Orchidee ist benannt nach dem deutschen Botaniker Diedrich Christian Rutenberg (1851-1878), der während einer Exkursion im westlichen Madagaskar am Fluss Maningoza von zwei Trägern ermordet wurde. Angraecum rutenbergianum wurde 1882 von Friedrich Wilhelm Ludwig Kraenzlin (1847-1934) beschrieben, anhand einer von Rutenberg gesammelten Pflanze.
Wir passieren den Gipfel des Inselbergs und finden am Rand einer feuchten Senke ein Satyrium trinerve - der Name bezieht sich auf die drei markanten Nervenlinien der Blätter. Der Blütenstand ist dicht besetzt mit kleinen weißen Blüten.
Die letzte Entdeckung am Inselberg macht Michele. Er zeigt uns ein in einem Strauch verstecktes Satyrium rostratum mit schönen rosa Blüten. Deutlich zu erkennen sind die beiden Sporne der Blüten.
Aber inzwischen ist uns ein Gewitter bedrohlich nahe gekommen und bricht jetzt mit voller Wucht los. Die beiden Kameras müssen schnell in den wasserdichten Seesack. Völlig durchnässt, aber ganz beseelt laufe ich ins Tal zurück. Gut, dass es im Auto trockene Kleidung gibt. So kann ich mich noch umziehen, ehe wir durch den anhaltenden Regen weiter in Richtung Süden fahren. Bei Dunkelheit treffen wir am Nationalpark Ranomafana in der Setam Lodge ein und ich kann alle nassen Sachen zum Trocknen aufhängen. Im Restaurant bekommen wir ein warmes Abendessen.
Auf dem Rückweg nach Antananarivo sind wir am 12. Februar ein zweites Mal in Ankazomivady. Inzwischen sind wir schon bekannt bei den dort lebenden Menschen. Am Straßenrand verkauft Malal den Reisenden gekochte Eier.
Diesmal bleiben wir im dichten Regenwald unterhalb des Inselbergs. Die letzte Exkursion der Reise möchte ich dazu nutzen, auch mehr auf Moose, Farne und andere Pflanzen zu achten. Dazu gehört eine Kletterpflanze mit merkwürdig ausgeschnittener Blattform: Lemurosicyos variegata ist eine endemische Art der Kürbisgewächse (Cucurbitaceae) und die einzige Art ihrer Gattung.
Eine Polystachya cultriformis trägt bereits Früchte und eine letzte Blüte.
Auch zwei Chamäleons begegnen mir, ein kleines grünes und ein größeres braunes Tier.
Eine Oeonia rosea hat bereits Früchte und hängt wie ein bizarres Wesen mit langen Wurzeln in der Luft.
Wechselständige Blätter an einem langen und verzweigten Stängel hat Angraecum baronii, benannt nach dem englischen Missionar Richard Baron (1847-1907).
Ein Bulbophyllum hat eine längliche gerippte Bulbe mit jeweils zwei Blättern und einem langen bereits welken Blütenstand mit einer kleinen Frucht. Auch ein Angraecum können wir nicht näher bestimmen.
Zum Schluss machen wir noch eine schöne neue Entdeckung: Aerangis punctata lässt eine ausdrucksvolle blassrosa Knospe herabhängen.
Im Regenwald von Ranomafana
11. Februar - ein Tag im Nationalpark Ranomafana!Wir melden uns im Verwaltungsbüro an. Dort schmückt ein großes Wandbild zur Tier- und Pflanzenwelt den Raum. Darauf lässt sich eindeutig Aerangis citrata erkennen. Diese Orchidee sehen wir dann auch bald wieder, hier meist noch knospend. Eine dieser Pflanze bringt mich zu einer Klettertour in den Hang hinauf. Sie hat einen langen Blütentrieb entwickelt, auf dem sich eine Knospe an die andere reiht.
Wir treffen unsere beiden Local Guides, Wiliam und Tsilavo (Kelimanatsaka). Wiliam erzählt, dass bereits sein Vater europäische Wissenschaftler in den Wald geführt habe, lange vor Gründung des Nationalparks. Er weist uns nach wenigen Metern auf eine Orchidee in einem Baum hin. Das ist zur Begrüßung eine Aeranthes ramosa, die sich mit dem Tele-Objektiv gut erkennen lässt. In der Blüte hat sich ein Käfer versteckt.
Die Kamera holt auch eine eindrucksvolle Polystachya virescens näher heran. Mit langem Blütenstand und grün-gelblichen Blüten lässt sie sich gut von der kleineren und häufigeren Polystachya cultriformis unterscheiden. Beide sehen wir später auch kurz nacheinander. Bei Polystachya cultriformis wächst ein Blatt aus der schmalen Pseudobulbe, bei der größeren Polystachya virescens sind es meist zwei.
Wir überqueren den rauschenden Fluss Namorona und steigen jetzt tiefer in den Wald hinauf, auf schmalen Pfaden von 900 auf 1000 Meter Meereshöhe. An einem Baum fällt uns Bulbophyllum paleiferum auf. Es blüht zwar nicht, ist aber an seiner auffallend länglichen Bulbe mit zwei Blättern gut zu erkennen. Die Art ist als stark gefährdet eingestuft.
Kurz darauf begegnen wir einer besonders schönen Oberonia disticha mit langen Blütenständen. Dicht an die Baumrinde gepresst verharrt ein Plattschwanzgecko (Uroplatus sicorei). Dann sehen wir eine ähnliche Pflanze wie zuvor schon unten am Hang und sind nun sicher, dass dies Aerangis citrata ist.
An seinen charakteristischen breiten Blättern ist Liparis longicaulis gut zu erkennen. Diese Orchidee bildet am Waldboden eine kleine Siedlung.
Außerdem lerne ich zwei weitere Angraecum-Arten kennen. Angraecum acutipetalum hat relativ breite, gewellte Blätter. Der kurze Stängel trägt eine weiße Blüte mit einer tütenförmigen Lippe und spitz zulaufenden Petalen und Sepalen und eine Knospe. Eine ähnliche Blütenform hat ein Angraecum mit kleinen gelben Blüten, deren mit Nektar gefüllter Sporn am Ende verbreitert ist. Es muss vorerst unbestimmt bleiben.
Besonders artenreich sind hier Orchideen der Gattung Bulbophyllum. Bulbophyllum occultum trägt auch hier einen bräunlichen Blütenstand.
Ganz nah an den Baumstamm ran muss ich bei dem kleinen Bulbophyllum discilabium, das sich wie ein Teppich ausgebreitet hat, auf dem winzige, leuchtende rote Blüten ausgebreitet sind. Aus jeder der kleinen runden Bulben kommt ein Blatt.
Bulbophyllum brachystachyum hat kleine gelbe Blüten und helle Knospen an einem kurzen Stängel - diese kleine Pflanze schlängelt sich den Baumstamm entlang und schmiegt ihre zarten Luftwurzeln an die Rinde.
Der Wald ist erfüllt von einer einzigartigen Sinfonie verschiedenster Klänge, die an- und abschwellen, sich mit uns bewegen, plötzlich auftauchen und wieder verklingen. Für einen gleichförmigen Continuo sorgen die Zikaden, von denen ich einen sehr ungewöhnlichen Vertreter und Meister der Camouflage zu Gesicht bekomme.
Mit spitzen Rufen bringt sich darüber der Vasapapagei (Coracopsis vasa) solistisch ein. Später kommt der Gabeldrongo (Dicrurus forficatus) hinzu, der gerne Rufe anderer Vögel und sogar von Lemuren imitiert. Mit einem markanten, gleichförmigen Laut lässt schließlich auch Boulengers Madagaskar-Frosch (Gephyromantis boulengeri) seine Stimme im Regenwaldkonzert ertönen.
Nach der Mittagsrast mit Maniok, die wir auf einer Anhöhe mit schöner Aussicht verbringen, laufen wir durch einen Bambuswald wieder in Richtung Namorona-Tal. Der Bambus ist hier heimisch und gibt den Bambuslemuren Nahrung. Aus Südamerika eingewandert ist hingegen der Seifenstrauch (Clidemia hirta), der zu den Schwarzmundgewächsen (Melastomataceae) gehört und sich invasiv in allen tropischen Regionen ausgebreitet hat. Hier gibt es weniger Orchideen, so freue ich mich auch am intensiven Blau der Tagblume (Commelina madagascarica). Der Farbe des trockenen Laubs hat sich der Madagaskar-Laubfrosch (Boophis madagascariensis) angepasst.
Aber dann entdecken wir auch noch weitere Orchideen. Eine völlig neue Gattung ist für mich Platylepis mit terrestrisch wachsenden Arten. Drei bis vier Laubblätter und einen gedrungenen Blütenstand mit rötlich-hellbraunen Blüten hat Platylepis densiflora - die Art ist auch unter dem Namen Platylepis bigibbosa bekannt. Einen langgestreckten Blütenstand hat hingegen Platylepis occulta, hier im Wald bereits abblühend.
Schließlich gelangen wir wieder in einen Wald mit den charakteristischen Bäumen der Gattung Dalbergia wie den beiden endemischen Arten Dalbergia baronii - deren Holz als Palisander für den Möbelbau genutzt wurde - oder der stark gefährdeten Dalbergia madagascariensis. Diese bieten auch wieder Platz für epiphytische Orchideen wie eine große Aeranthes caudata mit grüner Knospe und einer Frucht. Die Knospe sieht ähnlich aus wie bei Aeranthes ramosa - aber die Blätter sind weich und herabhängend.
Zum Abschluss der Ranomafana-Exkursion freue ich mich über ein Wiedersehen mit Jumellea arborescens, die wir im Wald von Analamazaotra zuerst kennengerlernt haben.
Am nächsten Morgen ziehen dichte Nebelschwäder durch die Täler von Ranomafana.
Wir verabschieden uns von der Setam Lodge und machen Halt am Wasserfall von Andriamamovoka.
Hier blüht auch noch ein schönes Impatiens. Und etwas weiter die Straße entlang entdecke ich auf einer feuchten Wiese Cynorkis graminea, die ihren Namen den grasartigen Blättern verdankt.
Entlang der Straße N7 halten wir nördlich von Alak-Ambohimaha auch noch einmal bei einer besonders schönen Eulophia plantaginea.
Auf der zweitägigen Rückfahrt nach Antananarivo übernachten wir in der für ihre Holzschnitzereien renommierten Kleinstadt Ambositra und machen eine Essenspause in einem Hotel des Dorfes Antsampanimahazo. Treuer Reisebegleiter ist der Baum der Reisenden, die Ravenala madagascariensis.
Artenliste
- Aerangis citrata
- Aerangis ellisii
- Aerangis punctata
- Aeranthes caudata
- Aeranthes grandiflora
- Aeranthes ramosa
- Angraecum acutipetalum
- Angraecum baronii
- Angraecum calceolus
- Angraecum compactum
- Angraecum didieri
- Angraecum eburneum
- Angraecum ferkoanum
- Angraecum filicornu
- Angraecum linearifolium
- Angraecum mauritianum
- Angraecum ochraceum
- Angraecum rhynchoglossum
- Angraecum rubellum
- Angraecum sesquipedale
- Angraecum sororium
- Bulbophyllum analamazoatrae
- Bulbophyllum boiteaui
- Bulbophyllum brachystachyum
- Bulbophyllum conchidioides
- Bulbophyllum coriophorum
- Bulbophyllum discilabium
- Bulbophyllum erectum
- Bulbophyllum hamelinii
- Bulbophyllum longiflorum
- Bulbophyllum minutum
- Bulbophyllum occlusum
- Bulbophyllum occultum
- Bulbophyllum paleiferum
- Bulbophyllum peyrotii
- Bulbophyllum pervillei
- Bulbophyllum pleurothallopsis
- Cynorkis fastigiata
- Cynorkis flexuosa
- Cynorkis gibbosa
- Cynorkis graminea
- Cynorkis speciosa
- Disperis hildebrandtii
- Eulophia falcigera
- Eulophia plantaginea
- Jumellea arborescens
- Jumellea punctata
- Liparis longicaulis
- Microcoelia macrantha
- Oberonia disticha
- Oeonia rosea
- Polystachya concreta
- Polystachya cultriformis
- Polystachya fusiformis
- Polystachya henrici
- Polystachya humbertii
- Polystachya oreocharis
- Polystachya rosea
- Polystachya virescens
- Satyrium rostratum
- Satyrium trinerve