Steiermark

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tauplitzalm 2 
Die Steiermark, das zweitgrößte Bundesland Österreichs, ist nach der Beschreibung neuer Kohlröschen-Arten in den vergangenen Jahren zu einer Region der Nördlichen Kalkalpen geworden, die eine besondere botanische Anziehungskraft hat. Nachdem ich 2009 in den Dolomiten zum ersten Mal eine hellrot blühende Nigritella gesehen hatte - ganz anders als die dort dominierende, dunkelrot blühende Nigritella rhellicani, hatte mich der Nigritella-Experte Wolfram Foelsche darauf aufmerksam gemacht, dass es sich dabei um das 2010 von ihm beschriebene Zweifarbige Kohlröschen (Nigritella bicolor) handelte. Die Unterschiede zum Roten Kohlröschen (Nigritella miniata) lassen sich gut in der Steiermark erkennen, wo beide Arten nebeneinander blühen - zusammen mit weiteren faszinierenden Arten dieser besonderen Gattung. Im Jahr 2020 besuche ich die Bergwiesen der Tauplitzalm, die sich im Südosten des Toten Gebirges auf einer Höhe von 1600 bis 2000 Metern erstrecken. Ein Jahr später schaue ich mir den weiter östlich gelegenen Trenchtling an, einen Gebirgszug der Hochschwab-Gruppe, der sich vom Lamingsattel (1677 m) über den Hochturm (2081 m) und die Großwand (1983 m) bis zum Edelweißboden (1880 m) im Osten erstreckt.   

karte steiermark


mit der Bahn nach Tauplitz

Im Corona-Jahr 2020 sind viele Einschränkungen zu beachten, aber im Juli gibt es die Möglichkeit für eine Woche Urlaub und damit für Nigritella-Erkundungen. Da ich nach Möglichkeit auf das Auto verzichten will, entscheide ich mich für die in der Orchideen-Community wohl bekannte Tauplitzalm in der Steiermark. Das Städtchen Tauplitz ist mit der Bahn gut erreichbar.

traweng blick

Nach der Ankunft am 4. Juli bekomme ich ein schönes Zimmer im Hotel Schwaiger. Weil es noch früh am Nachmittag ist, laufe ich aus dem Ort heraus. Sobald die Weiden aufhören und der Wald anfängt, nimmt die Artenvielfalt zu. An einer feuchten Senke blüht das Fuchs'sche Knabenkraut (Dactylorhiza fuchsii). Wie schon einmal in Bayern gesehen, fühlt sich der Fleckenhörnige Halsbock (Paracorymbia maculicornis) auf diesem Knabenkraut wohl.

dactylorhiza fuchsii 1

  dactylorhiza lapponica

Bereits am Abblühen ist in etwa 960 Metern Höhe das Breitblättrige Knabenkraut (Dactylorhiza majalis). In einer sich anschließenden Wiese mit Wollgras ist es noch feuchter. Hier wächst auch die Sumpfstendelwurz (Epipactis palustris), die aber noch nicht aufgeblüht ist, ebenso das Fleischfarbene (Dactylorhiza incarnata) und das  Lappländische Knabenkraut (Dactylorhiza lapponica). Am Waldrand blüht das Große Zweiblatt (Neottia ovata). Mit auffallend breiten Lippen schmückt auch die Mücken-Händelwurz (Gymnadenia conopsea) die schöne Wiese.

 

 

Hinauf auf den Traweng

Am 5. Juli bringt mich die Seilbahn zur Tauplitzalm hinauf. 

seilbahn

Unter mir sehe ich die Blütenstände von Gymnadenia conopsea in der Schneise. Auf der Tauplitzalm herrscht viel Betrieb, in etwa 1600 Metern Höhe gibt es etliche Hotels und Restaurants. Ich laufe nach Osten bis zur Grazer Hütte, kurz danach beginnt der Aufstieg zum Traweng - manche sagen auch die Traweng. Es geht steil hinauf, an einer Felswand mit Drahtseil-Sicherung entlang, dann zum Teil über Geröll. 

grimming

In 1840 Metern Höhe sehe ich das erste Kohlröschen. Es ist purpurrot, hat einen relativ langen Blütenstand und auch eine an der Basis bauchige und eingeschnürte Lippe - das ist das Rote Kohlröschen - Nigritella miniata oder traditionell auch als Nigritella rubra geführt.

nigritella miniata 1Bei Nigritella miniata sind alle geöffnete Blüten gleichfarbig karmin- oder rubinrot, die Tragblätter sind rötlich gerändert. Die Lippe hat eine stark ausgeprägte Taille im unteren Drittel. Die Petalen sind nur wenig schmaler als die Sepalen. Wenige Meter höher blüht ein anderes Kohlröschen, das Zweifarbige Kohlröschen (Nigritella bicolor). Es hat einen Blütenstand, in dem die einzelnen Blüten häufig im unteren Bereich heller sind als oben. Die Sepalen sind ziemlich breit, die Petalen deutlich schmaler als diese.  

nigritella bicolor Nach Wolfram Foelsche (Die Gattung Nigritella im Lichte neuerer genetischer Untersuchungen mit besonderer Berücksichtigung von Nigritella miniata, S. 123) ist Nigritella bicolor auf der Tauplitzalm häufiger als Nigritella miniata. Ausschau halte ich auch nach dem kleinen, halbkugelförmigen Blütenstand von Widders Kohlröschen (Nigritella widderi) mit rosafarbenen Blüten - aber ich finde keine eindeutigen Pflanzen dieser Art.

Kurz unterhalb des Traweng-Gipfels (1981 m) weichen Fels und Geröll einem schönen Hochplateau mit blühenden Wiesen. 

traweng 1

Schon von weitem sehe ich ein Kohlröschen mit einer ganz eigenen Farbe, ein rosa leuchtender Blütenfleck. Das ist das Erzherzog-Johann-Kohlröschen (Nigritella archiducis-joannis), benannt nach Erzherzog Johann von Österreich (1782-1859). 

nigritella archiducis joannis 1

Der Blütenstand ist ähnlich wie bei Nigritella widderi halbkugelig. Die Einzelblüten sind relativ groß, die Petalen und sind zur Lippe hin gebogen. Die Art wurde erst 1985 beschrieben, von Herwig Teppner und Erich Klein, anhand von Pflanzen auf dem Traweng. Die Traweng-Wiesen sind somit der locus typicus von Nigritella archiducis-joannis.  

nigritella archiducis joannis 2sm

 

nigritella archiducis-joannistraweng 2

 

 

Vom Gipfel aus weitet sich der Blick auf den benachbarten Lawinenstein (1965 m), den ich später auch noch anschauen will.

traweng

Nach dem glücklichen Abstieg kehre ich in der Grazer Hütte ein. Laura zapft mir ein Weizenbier. Und an der Hüttenwand mahnt ein Schild zum achtsamen Umgang mit der Natur.

grazer huette

Beim Abstieg ins Tal entscheide ich mich für einen schmalen Wanderweg der oberhalb der Hütte am Steirersee beginnt. Begleitet werde ich von vielen Dactylorhiza fuchsii und einer letzten Narzisse (Narcissus poeticus).

narcissus

Am Grimmingbach

Am 6.7. zieht Regen auf, so dass ich nur eine kleine Runde laufe, zum Grimmingbach und oberhalb davon. Dabei habe ich einen schönen Blick auf den gestern bestiegenen Traweng (links) mit dem benachbarten Sturzhahn (2028 m).

traweng 4

Im Wald schaue ich mir den Wald-Geisbart (Aruncus dioicus) näher an, der zu den Rosengewächsen gehört. Außerdem blühen hier auch gelber Fingerhut (Digitalis grandiflora) und Eisenhut (Aconitum anthora). An Orchideen wachsen im Wald Dactylorhiza fuchsii, Neottia ovata und Neottia nidus-avis

grimming bach 

dactylorhiza fuchsii 3 aconitum anthora

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

zum Lawinenstein

Der 7. Juli beginnt nach dem Regen am Vortag etwas frisch. Die Seilbahn bringt mich wieder hinauf auf die Tauplitzalm. Diesmal laufe ich nicht nach Osten, sondern nach Westen und komme bald zu schönen Feuchtwiesen mit ganz unterschiedlichen Knabenkräutern.

dactylorhiza wiese

Darunter sind Dactylorhiza majalis, Dactylorhiza incarnata und Dactylorhiza lapponica, aber auch vereinzelte Dactylorhiza fuchsii. Und natürlich auch wieder besondere Hybriden. Dactylorhiza incarnata x majalis hat die breiten Blätter von majalis, die hier aber ungefleckt sind. Die großen Blüten sind hellviolett, rundlich und haben ein feines Punktmuster auf der Lippe. Hingegen hat Dactylorhiza fuchsii x majalis stark gefleckte breite Blätter. Die Blüten sind ebenfalls groß und violett, haben aber einen schlanken Sporn und ein markantes Linienmuster auf der Lippe.

d incarnata majalis

  d fuchsii majalis 2

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am Hang entdecke ich auch die ersten Kohlröschen, Nigritella bicolor. Dann geht es weiter zum Kraller See, dem am weitesten im Westen gelegenen See der Kette von stillen Bergseen auf der Hochebene der Tauplitzalm.

Vollbildanzeige

Auf dem Weg fällt mir eine weiß blühende Mückenhändelwurz (Gymnadenia conopsea) ins Auge - Bestätigung, dass diese Art immer wieder Albiflora-Formen ausbildet.  

Gymnadenia conopsea f. albiflora

Auch die sonstige Alpenflora ist atemberaubend schön. Die zarten Blüten der Zwerg-Alpenrose (Rhodothamnus chamaecistus) zeigen, dass dieses Heidekrautgewächs nicht näher mit den anderen Alpenrosen der Gattung Rhododendron verwandt ist. 

Rhodotamnus chamaecistus

Eindrucksvoll ist das Stängellose Leimkraut, auch Polsternelke genannt (Silene acaulis), eine Lebenskünstlerin in Höhen ab 1500 Metern: Die Pflanze dringt mit ihrer teilweise mehr als einen Meter langen Wurzel tief in den Kalkfelsen ein, erzeugt mit ihrem gedrungenen Wuchs ein Polster mit eigenem Mikroklima. Die unteren Blätter sterben ab und bilden einen eigenen Humus. Das Pflanzenpolster kann so hundert Jahre alt werden.

silene acaulis

Auf dem Lawinenstein bin ich zunächst etwas enttäuscht - keine Nigritellen sind auf den ausgedehnten Gipfelwiesen zu sehen. Vielleicht bin ich in der Höhe zu früh dran? Oder haben die in großer Höhe grasenden Kühe die Orchideen verspeist? So muss ich mich zunächst mit dem großartigen Ausblick begnügen, etwa auf den Grundlsee. 

lawinenstein blick 1

lawinenstein blick 2

Nach der Rast am Gipfelkreuz erkunde ich die weitere Umgebung und finde im Gras eine Grüne Hohlzunge (Dactylorhiza viridis).

dactylorhiza viridis

Schließlich gelange ich an einen reizvollen Wacholderhang mit Weißer Höswurz (Pseudorchis albida) und der zu den Rosengewächsen gehörenden Weißen Silberwurz (Dryas octopetala).

pseudorchis albida 1

Dryas octopetala

Über einer mit Eis bedeckten Mulde entdecke ich dann doch noch ein Kohlröschen. Es steht auf der etwas feuchteren Wiese der Senke und hat ein auffallend kleines, einfarbig rotes Blütenköpfchen. Was mag das für eine Art sein? Am Abend schicke ich Wolfram Foelsche die Fotos, er antwortet schnell: Das ist Nigritella hygrophila, das Feuchtigkeitsliebende Kohlröschen. Die 2011 von Foelsche und Ulrich Heidtke (in: Journal Europäischer Orchideen 43/1, S. 131-160) neu beschriebene Art hat die Merkmale: "relativ klein, kräftig, überwiegend auf feuchtem und kühlem Standort wachsend. Blütenstand klein bis mittelgroß, etwas kürzer bis kaum länger als breit, ... meist einfarbig mittelrot oder dunkel rubinrot". 

nigritella hygrophila 1

Zum Schwarzensee

Am letzten Tag meiner Reise ins Tote Gebirge bringt mich die Seilbahn noch einmal auf die Alm hinauf. 

tauplitzalm

Diesmal laufe ich nach Osten, der Sonne entgegen. Am Fuß des Traweng schaue ich mir die Wiesen noch einmal genauer an und studiere die Unterschiede von Nigritella bicolor, die hier tatsächlich am häufigsten ist, und Nigritella miniata. Bei bicolor sind Sepalen und Petalen ausgebreitet, wobei die Petalen nur etwa halb so breit sind wie die Sepalen. Bei der etwas früher aufblühenden Nigritella miniata (oder rubra) sind sie vorgestreckt und etwa gleich breit.

nigritella bicolor 3

 nigritella miniata 3

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auch eine einzelne Pseudorchis albida findet sich zwischen den Nigritellen an der Grazer Hütte.

Danach laufe ich den Wanderweg weiter nach Osten entlang, zum Steirersee. Der schmale Pfad führt über das steile Nordufer entlang, immer wieder geht es hoch und runter. Unterwegs fällt mir eine Händelwurz ins Auge, die gerade erst aufblüht - das ist die Wohlriechende Händelwurz (Gymnadenia odoratissima) mit ihrem im Vergleich zu Gymnadenia conopsea kürzeren Sporn.

pseudorchis albida 3

 Gymnadenia odoratissima

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 Schließlich erreiche ich bei strahlendem Sonnenschein den Schwarzensee - Zeit, um die Füße ins Wasser zu legen. 

schwarzensee

Zum Abschied von der Tauplitzalm unterhalte ich mich mit einem Bergpieper (Anthus spinoletta) im Prachtkleid, der zwischen Kiefern und Kalkfelsen hin und her fliegt. Die Unterscheidung der Nigritella-Arten bietet der Fachwelt viel Stoff für Diskussionen. Zehn Jahre nach der Beschreibung von Nigritella bicolor durch Wolfram Foelsche sind die Unterschiede zu Nigritella miniata oder rubra aber gut zu erkennen. Von der seltenen Nigrotella hygrophila würde ich nach der ersten Begegnung gerne noch weitere Pflanzen sehen.   

bergpieper


Vordernberg 

Am 7. Juli 2021 fahre ich mit der Bahn nach Leoben, wo mich Maria abholt, die Wirtin der kleinen, lieblich gelegenen Pension Pein in Vordernberg. Das alte Steinhaus wurde im Hochmittelalter als Mönchsklause errichtet. Die vom Eisenerzbergbau geprägte Gemeinde Vordernberg zählt heute noch knapp 1000 Einwohner - Ende des 19. Jahrhunderts waren es noch dreimal so viel.

vordernberg 1

vordernberg 2

Dort treffen bald darauf auch Wolfram Foelsche mit seinem Bruder, Edith Merz und Roland Wüest mit seinem Vater ein. Bei Kaffee und Kuchen erfahre ich, welche botanischen Entdeckungen die Gruppe an diesem Tag gemacht hat.

Alpen-Nelke und Edelweiß

Dazu zählte neben den besonderen Kohlröschen des Trenchtlings auch eine Gruppe von weiß blühenden Alpen-Nelken (Dianthus alpinus). Die sonst hellpurpurn blühende Pflanze, die eine endemische Art der Ostalpen ist, erwartet mich nach dem Aufstieg zum Edelweiißboden, vom Gasthof Hiaslegg aus. Dabei begleiten mich Maria und ihr schweigsamer Hund Jacky. Im Wald blühen Fuchs'sches Knabenkraut (Dactylorhiza fuchsii) und die schöne Türkenbund-Lilie (Lilium martagon). Der Weg führt hinauf auf schöne Almwiesen mit Tausenden von Edelweiß (Leontopodium nivale). Zum ersten Mal im Exkursionseinsatz ist das neue Makro-Objektiv für die Nikon Z-6, das Nikkor Z MC 50 mm 1:2,8.

dianthus alpinus

leontopodium

Wie auf der Tauplitzalm blüht auch hier die Weiße Silberwurz (Dryas octopetala) - einmal durchzählen die Blütenblätter, ja, es sind acht. Aber es gibt auch Pflanzen mit sieben oder neun Blütenblättern.

dryas octopetala 2

Rotes Leuchten im Gras

Bei der Ankunft auf dem Hochplateau sucht mein Blick die Wiesen nach den kleinen rötlichen Blütenköpfchen ab - wann taucht das erste Kohlröschen auf? Da leuchtet es dunkelrot  im kurzen Gras auf und ich vergesse erst einmal alles um mich herum.

trenchtling ost

 

nigritella austriaca 1

Das muss das Österreichische Kohlröschen sein, Nigritella austriaca. Es erinnert mich sehr an das Gewöhnliche Kohlröschen (Nigritella rhellicani), das ich in den Dolomiten und im Wallis gesehen habe - in beiden Regionen mit besonderen Farbvarianten. Nigritella austriaca hat einen Blütenstand, der weniger langgestreckt, mehr kugelförmig ist. Und diese Art blüht auch früher als Nigritella rhellicani. Sie wurde zuerst 1990 von Herwig Teppner und Erich Klein (1931-2016) als Nigritella nigra subsp. austriaca beschrieben - Nigritella nigra ist das nur in Skandinavien vorkommende Kohlröschen. Im Unterschied zu Nigritella rhellicani vermehrt sich Nigritella austriaca apomiktisch, also nicht-sexuell und erzeugt daher Klone ihrer selbst als Nachkommen. Der Trenchtling ist der locus typicus dieser Art, also der Ort, an dem das im Herbar der Universität Graz hinterlegte Typusexemplar gefunden wurde. "N. austriaca ist mit Abstand die individuenreichste Kohlröschensippe des Trenchtlings und bildet hier vielleicht die größte Teilpopulation innerhalb ihres gesamten Verbreitungsgebietes", schreibt Wolfram Foelsche (Die Kohlröschen des Trenchtlings und ihre Bedeutung für die Erforschung der Gattung Nigritella. In: Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 36 (2): 75-122;2019).

Auf der Tauplitzalm hatte ich im Vorjahr vergeblich Ausschau gehalten nach eindeutigen Nigritella widderi - aber hier fällt es mir gleich ins Auge, Widders Kohlröschen, benannt nach dem österreichischen Botaniker Felix Joseph Widder (1892–1974). Es ist hellviolett, im unteren Blütenstand besonders hell, aber auch ganz anders gefärbt als Nigritella archiducis-joannis. Der Trenchtling ist der locus typicus dieser Art, das Typusexemplar der 1985 von Teppner und Klein beschriebenen Species liegt ebenfalls im Herbar der Universität Graz.

nigritella widderi 1

Zwei weitere Nigritella-Arten sehe ich auf den weitläufigen Wiesen. Beide Arten kenne ich schon gut von der Tauplitzalm. Beim Roten Kohlröschen (Nigritella miniata) sind die Lippen relativ eng eingerollt - der österreichische Botaniker Richard Wettstein (1863-1931) bezeichnete dies in der Beschreibung der von ihm als Gymnadenia rubra bezeichneten Art als "dütenförmig"). Beim Zweifarbigen Kohlröschen (Nigritella bicolor) ist die Lippe an der Basis weiter geöffnet, außerdem sind hier die Petalen deutlich schmaler als die Sepalen. Und die Blüten sind im unteren Blütenstand oft heller als weiter oben.

nigritella miniata 5nigritella bicolor 5

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nigritella bicolor wurde 2010 von Foelsche beschrieben - als dritte Nigritella-Art mit dem Trenchtling als locus typicus. Die Festlegung der neuen Art wurde zunächst von einigen Botanikern mit Skepsis aufgenommen. Wenn an einem Standort sowohl Nigritella miniata als auch Nigritella bicolor blühen, sind die Unterschiede aber sehr eindeutig und inzwischen auch in molekulargenetischen Untersuchungen bestätigt. Alpine Wiesen lassen die Zeit still stehen, ich könnte endlos hier sein und jede Dryas octopetala betrachten.

dryas octopetala

 

campanula thyrsoidesAber weil ein Gewitter heranzieht, drängt Maria zum Aufbruch. Schnell steigen wir hinab, werden aber noch von Hagel und Starkregen ereilt. Kurz unterhalb vom Hiaslegg muss ich aber noch die Straußblütige Glockenblume (Campanula thyrsoides) bewundern, in Italien treffend die Gelbe Glockenblume genannt, Campanula gialla. Wieder in Vordernberg kehre ich im "Schwarzen Adler" ein, sichte die Fotos und studiere die Artenvielfalt der Nigritella-Gattung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über den Lamingsattel zum westlichen Trenchtling

Am 9. Juli stehe ich früh auf, um den Trenchtling von seiner Westseite aus zu erkunden, die weit weniger campanula scheuchzeriBesucher hat als die Ostflanke mit dem Edelweißboden. Dankbar nehme ich Marias Angebot an, mich mit dem Auto bis zur Oberen Handlalm zu fahren - bereue das aber, als ein heftiger Hagelregen über uns hereinprasselt und die Forstwege überflutet. Maria lässt sich nicht beirren und setzt mich an der 1370 Meter hoch gelegenen Alm ab. Da klart es dann auch etwa auf und ich verabschiede mich von ihr, um einen schmalen Waldpfad hinaufzusteigen. 

dactylorhiza viridis< 2Dabei kann ich auch meine Campanula-Studien weiterführen mit der Scheuchzers Glockenblume (Campanula scheuchzeri), die ihre Blüten elegant am Wegrand nach oben reckt. Außerdem treffe ich unterwegs auf Dactylorhiza fuchsii, noch knospende Neottia ovata, die beiden Gymnadenia-Arten und auch auf die Grüne Hohlzunge (Dactylorhiza viridis), die sich im feuchten Gras sichtlich wohlfühlt.

Außerdem blühen im feuchten Wald das Gelbe Bergveilchen (Viola biflora) und das Quirlblättrige Läusekraut (Pedicularis verticillata).pedicularis verticillata

viola biflora 

Auf dem 1677 Meter hohen Lamingsattel angekommen, weitet sich der Blick zum westlichen Trenchtling. Ich laufe die südliche Flanke entlang, durch dicht stehende Latschen hindurch zu einer Kuhweide und weiter zu einem kahlen Geröllhang.

  

lamingsattel
Nach dem heftigen Regen liegen die Berge vor mir im Nebel, mit dem 2081 Meter hohen Hochturm. Als es noch einmal zu regnen beginnt finde ich eine Felsnische und halte dort meine Mittagsrast. Langsam klart es auf, jertzt bin ich mitten auf einer schönen Hangwiese mit vielen Kohlröschen, vor allem Nigritella miniata.

trenchtling 3

 

nigritella miniata 6

Auf dem Hang blühen auch Nigritella bicolor und Nigritella widderi.

nigritella widderi 2

Aber anders als am Edelweißboden, auf der Ostseite des Trenchtlings fehlt hier auf der abgelegenen Westseite Nigritella austriaca. Dafür fällt ein rosafarbenes Kohlröschen auf, mit einem eher kleinen Blütenstand, aber recht großen, weit geöffneten Einzelblüten, deren Sepalen länger als die Lippe ist. Und die Blütenblätter sind weißlich mit einem rötlichen Rand. Das könnte der Beschreibung des Schmalblütigen Kohlröschens (Nigritella graciliflora) entsprechen, die Wolfram Foelsche 2018 vorgelegt hat. Foelsche entdeckte diese Art 2017 auf einer kleinen Wiese des westlichen Trenchtlings und befand: "Diese noch unbekannte Sippe dürfte an Ort und Stelle entstanden sein, also genau hier, wo die Pflanzen jetzt stehen, und sie dürfte sich bis jetzt nur über diese überschaubare Fläche von der Größe eines Bauerngärtchens ausgebreitet haben." (Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 35 (1) 2018, S. 157). Wenn denn dieses Kohlröschen auch eine Nigritella graciliflora ist, gäbe es also einen zweiten Standort am Trenchtling für diese Art. Nun bin ich gespannt auf den Besuch dieser Pflanzen am locus typicus, den ich mir für morgen erhoffe.  

nigritella graciliflora 1

Beim langen Abstieg zum Steinhaus in Vordernberg studiere ich noch den Braunen Storchschnabel (Geranium phaeum), den ich zum ersten Mal und etwas verwundert betrachte. 

geranium phaeum

 

Sechs Nigritella-Arten auf den Trenchtling-Wiesen

 

Mein letzter Tag auf dem Trenchtling beginnt wieder am Gasthaus Hiaslegg. Heute ist Samstag, der 10. Juli, viele Menschen haben sich auf den Weg zum Edelweißboden gemacht. Auf den Waldwegen hinauf sehe ich eine Bärtige Glockenblume (Campanula barbata) mit weißen Blüten. Da ich den Weg schon kenne, komme ich gefühlt viel schneller hinauf als am ersten Tag. In der Höhe tauche ich in die gewellte Landschaft der Trenchtling-Wiesen ein.

trenchtling 4

Mein erstes Ziel ist der locus typicus des Schmalblütigen Kohlröschens, Nigritella graciliflora, auf einer zwischen Latschenkiefern gelegenen Wiese mit zahlreichen Edelweiß-Pflanzen. Vorsichtig setze ich meine Schritte. Die kleine Gruppe von Nigritellen ist nicht zu übersehen. Im Beitrag zur Erstbeschreibung der Art  (Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 35 (1) 2018) notiert Wolfram Foelsche, dass die kleineren, vermutlich jüngeren Pflanzen fast einfarbig rot sind, während die etwas größeren Blütenstände heller oder zweifarbig mit einem fast weißen oder hellroten unteren Blütenkranz sind.

nigritella graciliflora 2

Bei näherer Betrachtung der kleinen Blütenstände zeigen sich die weiteren Besonderheiten, wie sie Wolfram Foelsche in der Beschreibung festgehalten hat: Die seitlichen Sepalen sind meist deutlich länger als die schmale Lippe, bei den untersten Blüten haben die innen eher weißlichen Sepalen markant rötlich gefärbte Ränder. Beides trifft auch auf die Pflanzen am westlichen Trenchtling zu.  

nigritella graciliflora 3 nigritella graciliflora 4

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Einige Edelweiß-Blüten sind von kleinen roten Läusen besiedelt. Und überall blühen die schönen Alpen-Nelken.

leontopodium 2 dianthus alpinus 2

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit Nigritella graciliflora hat der Trenchtling seit 2018 den fünften Locus classicus einer Kohlröschenart, bemerkt Wolfram Foelsche in seinem Beitrag über Die Kohlröschen des Trenchtlings und ihre Bedeutung für die Erforschung der Gattung Nigritella (Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 36 (2): 75-122; 2019). Den Anfang machte 1985 Nigritella widderi, dann folgte 1990 Nigritella austriaca (zuerst beschrieben als Nigritella nigra subsp. austriaca). Bevor Foelsche auf dem Trenchtling das Typusexemplar von Nigritella bicolor (2010) sammelte, beschrieb er 2007 das Kleine Kohlröschen, Nigritella minor, als einen Lokalendemiten. Wichtigstes Merkmal dieser Art ist die durchgehend grüne Farbe der Tragblätter. Foelsche schätzt den Bestand dieser Art auf einige hundert. So dauert es nicht lange, bis ich auch diese Art finde, mit kleinen roten Blütenköpfen, aber deutlich anders als Nigritella miniata

nigritella minor 1 nigritella minor 2

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am Rand von Latschenkiefern blühen Nigritella minor in kleinen Gruppen - hier wird auch der Unterschied zu Nigritella miniata in Größe und Farbe gut erkennbar.

nigritella minor 3

Auf einer Wiese mit zahlreichen Nigritella austriaca beobachte ich Insekten, die wohl am Nektar der Blüten interessiert sind und dabei auch Pollinien entnehmen - obwohl die Art eigentlich apomiktisch, also selbstbefruchtend ist.

nigritella austriaca 2

Es handelt sich wohl nicht nur um einen zufälligen Besuch der Blüten, da die Biene den ganzen Blütenstand absucht und dann auch zur nächsten Nigritella weiterfliegt. Es handelt sich wohl um eine Langhornbiene der Gattung Eucera.  

 nigritella austriaca 3

Auch ein anderer Hautflügler zeigt reges Interesse an den Nigritella-Blüten - und entnimmt auch ein Pollinium.

nigritella austriaca 4

Sowohl Nigritella miniata als auch - hier etwas seltener - Nigritella bicolor blühen auf den ausgedehnten Wiesen. So kann ich noch einmal gut die Unterschiede studieren. Gemeinsam ist beide der eher langgestreckte Blütenstand, der sich bei bicolor noch etwas mehr strecken kann als bei miniata. 

nigritella miniata 7 nigritella bicolor 6

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf den Wiesen leuchten überall die dunkelroten Köpfchen von Nigritella austriaca hervor. Umso mehr heben sich die Pflanzen mit den hellrosa Blütenständen von Nigritella widderi ab. 

nigritella widderi 4

 

 

 

trenchtling 6

 

 

 

 

 

 

 

 



Ich laufe noch ein Stück nach Westen, in Richtung Großwand (1983 m). Eine Weile begleiten mich noch die Edelweiß-Sterne, aber Nigritella macht sich rar. So verabschiede ich mich schließlich nach Begegnungen mit sechs Nigritella-Arten an einem Tag von diesem besonderen Flecken Erde.

trenchtling 5

 


Artenliste

  • Dactylorhiza fuchsii
  • Dactylorhiza incarnata
  • Dactylorhiza lapponica
  • Dactylorhiza majalis
  • Dactylorhiza viridis

  • Epipactis palustris

  • Gymnadenia conopsea
  • Gymnadenia odoratissima

  • Neottia nidus-avis
  • Neottia ovata

  • Nigritella archiducis-joannis
  • Nigritella austriaca
  • Nigritella bicolor
  • Nigritella graciliflora
  • Nigritella hygrophila
  • Nigritella miniata
  • Nigritella minor
  • Nigritella widderi

  • Pseudorchis albida