Steiermark - Trenchtling

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Vordernberg 

Am 7. Juli 2021 fahre ich mit der Bahn nach Leoben, wo mich Maria abholt, die Wirtin der kleinen, lieblich gelegenen Pension Pein in Vordernberg. Das alte Steinhaus wurde im Hochmittelalter als Mönchsklause errichtet. Die vom Eisenerzbergbau geprägte Gemeinde Vordernberg zählt heute noch knapp 1000 Einwohner - Ende des 19. Jahrhunderts waren es noch dreimal so viel.

vordernberg 1

vordernberg 2

Dort treffen bald darauf auch Wolfram Foelsche mit seinem Bruder, Edith Merz und Roland Wüest mit seinem Vater ein. Bei Kaffee und Kuchen erfahre ich, welche botanischen Entdeckungen die Gruppe an diesem Tag gemacht hat.

Alpen-Nelke und Edelweiß

Dazu zählte neben den besonderen Kohlröschen des Trenchtlings auch eine Gruppe von weiß blühenden Alpen-Nelken (Dianthus alpinus). Die sonst hellpurpurn blühende Pflanze, die eine endemische Art der Ostalpen ist, erwartet mich nach dem Aufstieg zum Edelweiißboden, vom Gasthof Hiaslegg aus. Dabei begleiten mich Maria und ihr schweigsamer Hund Jacky. Im Wald blühen Fuchs'sches Knabenkraut (Dactylorhiza fuchsii) und die schöne Türkenbund-Lilie (Lilium martagon). Der Weg führt hinauf auf schöne Almwiesen mit Tausenden von Edelweiß (Leontopodium nivale). Zum ersten Mal im Exkursionseinsatz ist das neue Makro-Objektiv für die Nikon Z-6, das Nikkor Z MC 50 mm 1:2,8.

dianthus alpinus

leontopodium

Wie auf der Tauplitzalm blüht auch hier die Weiße Silberwurz (Dryas octopetala) - einmal durchzählen die Blütenblätter, ja, es sind acht. Aber es gibt auch Pflanzen mit sieben oder neun Blütenblättern.

dryas octopetala 2

Rotes Leuchten im Gras

Bei der Ankunft auf dem Hochplateau sucht mein Blick die Wiesen nach den kleinen rötlichen Blütenköpfchen ab - wann taucht das erste Kohlröschen auf? Da leuchtet es dunkelrot  im kurzen Gras auf und ich vergesse erst einmal alles um mich herum.

trenchtling ost

 

nigritella austriaca 1

Das muss das Österreichische Kohlröschen sein, Nigritella austriaca. Es erinnert mich sehr an das Gewöhnliche Kohlröschen (Nigritella rhellicani), das ich in den Dolomiten und im Wallis gesehen habe - in beiden Regionen mit besonderen Farbvarianten. Nigritella austriaca hat einen Blütenstand, der weniger langgestreckt, mehr kugelförmig ist. Und diese Art blüht auch früher als Nigritella rhellicani. Sie wurde zuerst 1990 von Herwig Teppner und Erich Klein (1931-2016) als Nigritella nigra subsp. austriaca beschrieben - Nigritella nigra ist das nur in Skandinavien vorkommende Kohlröschen. Im Unterschied zu Nigritella rhellicani vermehrt sich Nigritella austriaca apomiktisch, also nicht-sexuell und erzeugt daher Klone ihrer selbst als Nachkommen. Der Trenchtling ist der locus typicus dieser Art, also der Ort, an dem das im Herbar der Universität Graz hinterlegte Typusexemplar gefunden wurde. "N. austriaca ist mit Abstand die individuenreichste Kohlröschensippe des Trenchtlings und bildet hier vielleicht die größte Teilpopulation innerhalb ihres gesamten Verbreitungsgebietes", schreibt Wolfram Foelsche (Die Kohlröschen des Trenchtlings und ihre Bedeutung für die Erforschung der Gattung Nigritella. In: Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 36 (2): 75-122;2019).

Auf der Tauplitzalm hatte ich im Vorjahr vergeblich Ausschau gehalten nach eindeutigen Nigritella widderi - aber hier fällt es mir gleich ins Auge, Widders Kohlröschen, benannt nach dem österreichischen Botaniker Felix Joseph Widder (1892–1974). Es ist hellviolett, im unteren Blütenstand besonders hell, aber auch ganz anders gefärbt als Nigritella archiducis-joannis. Der Trenchtling ist der locus typicus dieser Art, das Typusexemplar der 1985 von Teppner und Klein beschriebenen Species liegt ebenfalls im Herbar der Universität Graz.

nigritella widderi 1

Zwei weitere Nigritella-Arten sehe ich auf den weitläufigen Wiesen. Beide Arten kenne ich schon gut von der Tauplitzalm. Beim Roten Kohlröschen (Nigritella miniata) sind die Lippen relativ eng eingerollt - der österreichische Botaniker Richard Wettstein (1863-1931) bezeichnete dies in der Beschreibung der von ihm als Gymnadenia rubra bezeichneten Art als "dütenförmig"). Beim Zweifarbigen Kohlröschen (Nigritella bicolor) ist die Lippe an der Basis weiter geöffnet, außerdem sind hier die Petalen deutlich schmaler als die Sepalen. Und die Blüten sind im unteren Blütenstand oft heller als weiter oben.

nigritella miniata 5nigritella bicolor 5

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Nigritella bicolor wurde 2010 von Foelsche beschrieben - als dritte Nigritella-Art mit dem Trenchtling als locus typicus. Die Festlegung der neuen Art wurde zunächst von einigen Botanikern mit Skepsis aufgenommen. Wenn an einem Standort sowohl Nigritella miniata als auch Nigritella bicolor blühen, sind die Unterschiede aber sehr eindeutig und inzwischen auch in molekulargenetischen Untersuchungen bestätigt. Alpine Wiesen lassen die Zeit still stehen, ich könnte endlos hier sein und jede Dryas octopetala betrachten.

dryas octopetala

 

campanula thyrsoidesAber weil ein Gewitter heranzieht, drängt Maria zum Aufbruch. Schnell steigen wir hinab, werden aber noch von Hagel und Starkregen ereilt. Kurz unterhalb vom Hiaslegg muss ich aber noch die Straußblütige Glockenblume (Campanula thyrsoides) bewundern, in Italien treffend die Gelbe Glockenblume genannt, Campanula gialla. Wieder in Vordernberg kehre ich im "Schwarzen Adler" ein, sichte die Fotos und studiere die Artenvielfalt der Nigritella-Gattung.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Über den Lamingsattel zum westlichen Trenchtling

Am 9. Juli stehe ich früh auf, um den Trenchtling von seiner Westseite aus zu erkunden, die weit weniger campanula scheuchzeriBesucher hat als die Ostflanke mit dem Edelweißboden. Dankbar nehme ich Marias Angebot an, mich mit dem Auto bis zur Oberen Handlalm zu fahren - bereue das aber, als ein heftiger Hagelregen über uns hereinprasselt und die Forstwege überflutet. Maria lässt sich nicht beirren und setzt mich an der 1370 Meter hoch gelegenen Alm ab. Da klart es dann auch etwa auf und ich verabschiede mich von ihr, um einen schmalen Waldpfad hinaufzusteigen. 

dactylorhiza viridis< 2Dabei kann ich auch meine Campanula-Studien weiterführen mit der Scheuchzers Glockenblume (Campanula scheuchzeri), die ihre Blüten elegant am Wegrand nach oben reckt. Außerdem treffe ich unterwegs auf Dactylorhiza fuchsii, noch knospende Neottia ovata, die beiden Gymnadenia-Arten und auch auf die Grüne Hohlzunge (Dactylorhiza viridis), die sich im feuchten Gras sichtlich wohlfühlt.

Außerdem blühen im feuchten Wald das Gelbe Bergveilchen (Viola biflora) und das Quirlblättrige Läusekraut (Pedicularis verticillata).pedicularis verticillata

viola biflora 

Auf dem 1677 Meter hohen Lamingsattel angekommen, weitet sich der Blick zum westlichen Trenchtling. Ich laufe die südliche Flanke entlang, durch dicht stehende Latschen hindurch zu einer Kuhweide und weiter zu einem kahlen Geröllhang.

  

lamingsattel
Nach dem heftigen Regen liegen die Berge vor mir im Nebel, mit dem 2081 Meter hohen Hochturm. Als es noch einmal zu regnen beginnt finde ich eine Felsnische und halte dort meine Mittagsrast. Langsam klart es auf, jertzt bin ich mitten auf einer schönen Hangwiese mit vielen Kohlröschen, vor allem Nigritella miniata.

trenchtling 3

 

nigritella miniata 6

Auf dem Hang blühen auch Nigritella bicolor und Nigritella widderi.

nigritella widderi 2

Aber anders als am Edelweißboden, auf der Ostseite des Trenchtlings fehlt hier auf der abgelegenen Westseite Nigritella austriaca. Dafür fällt ein rosafarbenes Kohlröschen auf, mit einem eher kleinen Blütenstand, aber recht großen, weit geöffneten Einzelblüten, deren Sepalen länger als die Lippe ist. Und die Blütenblätter sind weißlich mit einem rötlichen Rand. Das könnte der Beschreibung des Schmalblütigen Kohlröschens (Nigritella graciliflora) entsprechen, die Wolfram Foelsche 2018 vorgelegt hat. Foelsche entdeckte diese Art 2017 auf einer kleinen Wiese des westlichen Trenchtlings und befand: "Diese noch unbekannte Sippe dürfte an Ort und Stelle entstanden sein, also genau hier, wo die Pflanzen jetzt stehen, und sie dürfte sich bis jetzt nur über diese überschaubare Fläche von der Größe eines Bauerngärtchens ausgebreitet haben." (Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 35 (1) 2018, S. 157). Wenn denn dieses Kohlröschen auch eine Nigritella graciliflora ist, gäbe es also einen zweiten Standort am Trenchtling für diese Art. Nun bin ich gespannt auf den Besuch dieser Pflanzen am locus typicus, den ich mir für morgen erhoffe.  

nigritella graciliflora 1

Beim langen Abstieg zum Steinhaus in Vordernberg studiere ich noch den Braunen Storchschnabel (Geranium phaeum), den ich zum ersten Mal und etwas verwundert betrachte. 

geranium phaeum

 

Sechs Nigritella-Arten auf den Trenchtling-Wiesen

 

Mein letzter Tag auf dem Trenchtling beginnt wieder am Gasthaus Hiaslegg. Heute ist Samstag, der 10. Juli, viele Menschen haben sich auf den Weg zum Edelweißboden gemacht. Auf den Waldwegen hinauf sehe ich eine Bärtige Glockenblume (Campanula barbata) mit weißen Blüten. Da ich den Weg schon kenne, komme ich gefühlt viel schneller hinauf als am ersten Tag. In der Höhe tauche ich in die gewellte Landschaft der Trenchtling-Wiesen ein.

trenchtling 4

Mein erstes Ziel ist der locus typicus des Schmalblütigen Kohlröschens, Nigritella graciliflora, auf einer zwischen Latschenkiefern gelegenen Wiese mit zahlreichen Edelweiß-Pflanzen. Vorsichtig setze ich meine Schritte. Die kleine Gruppe von Nigritellen ist nicht zu übersehen. Im Beitrag zur Erstbeschreibung der Art  (Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 35 (1) 2018) notiert Wolfram Foelsche, dass die kleineren, vermutlich jüngeren Pflanzen fast einfarbig rot sind, während die etwas größeren Blütenstände heller oder zweifarbig mit einem fast weißen oder hellroten unteren Blütenkranz sind.

nigritella graciliflora 2

Bei näherer Betrachtung der kleinen Blütenstände zeigen sich die weiteren Besonderheiten, wie sie Wolfram Foelsche in der Beschreibung festgehalten hat: Die seitlichen Sepalen sind meist deutlich länger als die schmale Lippe, bei den untersten Blüten haben die innen eher weißlichen Sepalen markant rötlich gefärbte Ränder. Beides trifft auch auf die Pflanzen am westlichen Trenchtling zu.  

nigritella graciliflora 3 nigritella graciliflora 4

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Einige Edelweiß-Blüten sind von kleinen roten Läusen besiedelt. Und überall blühen die schönen Alpen-Nelken.

leontopodium 2 dianthus alpinus 2

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit Nigritella graciliflora hat der Trenchtling seit 2018 den fünften Locus classicus einer Kohlröschenart, bemerkt Wolfram Foelsche in seinem Beitrag über Die Kohlröschen des Trenchtlings und ihre Bedeutung für die Erforschung der Gattung Nigritella (Ber. Arbeitskrs. Heim. Orchid. 36 (2): 75-122; 2019). Den Anfang machte 1985 Nigritella widderi, dann folgte 1990 Nigritella austriaca (zuerst beschrieben als Nigritella nigra subsp. austriaca). Bevor Foelsche auf dem Trenchtling das Typusexemplar von Nigritella bicolor (2010) sammelte, beschrieb er 2007 das Kleine Kohlröschen, Nigritella minor, als einen Lokalendemiten. Wichtigstes Merkmal dieser Art ist die durchgehend grüne Farbe der Tragblätter. Foelsche schätzt den Bestand dieser Art auf einige hundert. So dauert es nicht lange, bis ich auch diese Art finde, mit kleinen roten Blütenköpfen, aber deutlich anders als Nigritella miniata

nigritella minor 1 nigritella minor 2

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am Rand von Latschenkiefern blühen Nigritella minor in kleinen Gruppen - hier wird auch der Unterschied zu Nigritella miniata in Größe und Farbe gut erkennbar.

nigritella minor 3

Auf einer Wiese mit zahlreichen Nigritella austriaca beobachte ich Insekten, die wohl am Nektar der Blüten interessiert sind und dabei auch Pollinien entnehmen - obwohl die Art eigentlich apomiktisch, also selbstbefruchtend ist.

nigritella austriaca 2

Es handelt sich wohl nicht nur um einen zufälligen Besuch der Blüten, da die Biene den ganzen Blütenstand absucht und dann auch zur nächsten Nigritella weiterfliegt. Es handelt sich wohl um eine Langhornbiene der Gattung Eucera.  

 nigritella austriaca 3

Auch ein anderer Hautflügler zeigt reges Interesse an den Nigritella-Blüten - und entnimmt auch ein Pollinium.

nigritella austriaca 4

Sowohl Nigritella miniata als auch - hier etwas seltener - Nigritella bicolor blühen auf den ausgedehnten Wiesen. So kann ich noch einmal gut die Unterschiede studieren. Gemeinsam ist beide der eher langgestreckte Blütenstand, der sich bei bicolor noch etwas mehr strecken kann als bei miniata. 

nigritella miniata 7 nigritella bicolor 6

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auf den Wiesen leuchten überall die dunkelroten Köpfchen von Nigritella austriaca hervor. Umso mehr heben sich die Pflanzen mit den hellrosa Blütenständen von Nigritella widderi ab. 

nigritella widderi 4

 

 

 

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Ich laufe noch ein Stück nach Westen, in Richtung Großwand (1983 m). Eine Weile begleiten mich noch die Edelweiß-Sterne, aber Nigritella macht sich rar. So verabschiede ich mich schließlich nach Begegnungen mit sechs Nigritella-Arten an einem Tag von diesem besonderen Flecken Erde.

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