hinauf auf 2000 m Höhe
Weil die Sonne schon die Mittagshöhe anpeilt und ein Gewitter angesagt ist, laufen wir gleich los, durch den Wald den Berg hinauf. Sofort zieht uns die südalpine Flora in ihren Bann: Die gelben Blüten von Helianthemum nummularium (Sonnenröschen) und Potentilla aurea (Gold-Fingerkraut), die dunkelviolett blühende Bartsia alpina (Trauerblume) und die hellere Gentiana germanica (Deutscher Enzian), der weiß blühende Ranunculus aconitifolius (Eisenhutblättriger Hahnenfuß), Cerastium uniflorum (Einblütiges Hornkraut), das Salomonssiegel (Polygonatum odoratum), Veronica alpina (Alpen-Ehrenpreis), Dianthus carthusianorum (Kartäusernelke), Silene nutans (Nickendes Leimkraut), Thymus serpyllum (Feld-Thymian), Knautia dipacifolia (Wald-Witwenblume), Geranium sylvaticum (Wald-Storchschnabel), Cirsium spinosissimum (Alpen-Kratzdistel) und Arnica montana (Bergwohlverleih) - das Notizbuch füllt sich schnell mit all den Namen.
Besonders fotogen wirken die rosaroten Blüten von Sempervivum montanum (Berg-Hauswurz). Drei Kleearten wollen unterschieden werden: Lotus corniculatus (Hornklee), das weiß blühende Trifolium montanum (Berg-Klee) und Trifolium alpinum (Alpen-Klee). Die Bergwiesen laden zu Glockenblumen-Studien ein: Bei Campanula scheuchzeri hängen die Knospen nach unten, bei Campanula rotundifolia stehen sie aufrecht. Eindrucksvoll sind die großen Glocken von Campanula barbata. Schließlich macht mich Klaus auch noch auf Campanula rhomboidalis aufmerksam, hier verläuft der Stängel nicht gerade, sondern mehrfach in andere Richtungen abknickend.
Farbenspiele
Die erste Orchidee, die wir sehen, ist eine Weiße Höswurz (Pseudorchis albida). Dann kommen bald Mücken-Händelwurz (Gymnadenia conopsea) und das Schwarze Kohlröschen (Nigritella rhellicani) hinzu. Die Bergwiesen bei Chandolin sind neben der Seiser Alm ein besonderer Standort für Farbvarietäten dieser Kohlröschen-Art. Wir sehen zuerst hellere Blütenköpfchen, in einem tiefen Rot.
Auch eine Nigritella mit rosa Blüten begegnet uns. Als wir höher hinaufsteigen, traue ich meinen Augen nicht: In einer Gruppe mit dunkelroten Nigritellen gibt es zwei Pflanzen mit blassgelben Blüten! Während wir dieses Wunder bestaunen und fotografieren, kommt auch die Gruppe von Ernst Frey vom Weg aus zu uns und freut sich mit am besonderen Fund.
Wir queren einen Skilift und laufen über ein Geröllfeld, bis wir einen Pfad in Richtung Rhonetal finden. Vereinzelt finden wir Hybriden von Gymnadenia conopsea und Nigritella rhellicani. In den größeren, leuchtend rotvioletten Blütenständen sind die Lippen der einzelnen Blüten weder nach oben wie bei Nigritella noch nach unten wie bei Gymnadenia, sondern diagonal bis waagrecht gerichtet. An einem kleinen Felsen halten wir Rast, schauen aber bald wieder weiter. Vereinzelt blüht hier auch die Grüne Hohlzunge (Dactylorhiza viridis). An einem nach unten führenden Weg wachsen viele Pseudorchis albida und Nigritella - aber nicht die von Klaus vor zwei Jahren schon einmal gesehene Hybride von beiden.
Schließlich laufen wir auf gleicher Höhe noch etwas weiter in Richtung der Hütte La Remointsette. Hier überrascht uns am Wegrand ein schönes Brandknabenkraut (Neotinea ustulata). Darüber blüht eine schöne zweifarbige Nigritella, oben hellrot, unten blassweiß.
Nach dem Abstieg reicht die Zeit noch für Rivella und ein Bier an der kleinen Bar des Hotels Plampras. Dann fährt Klaus ebenso wie Ernst und seine Gruppe mit dem Postbus ins Tal hinunter. Ich bleibe über Nacht. Begleitmusik zum Abendessen ist ein heftiger Gewitterregen, zeitweise fällt sogar der Strom aus.
Aufstieg zum Illhorn
Am Sonntagmorgen scheint wieder die Sonne, auf dem Balkon habe ich einen schönen Ausblick auf die Berge. Nach dem Frühstück geht es gleich wieder in den Wald hinein, wo mich die ersten Gymnadenia conopsea noch ganz durchnässt begrüßen. Auch eine einsame Trollblume (Trollius europaeus) blüht hier. Ich laufe zuerst zu dem Hang, auf dem die gelben Nigritellen waren.
Bei den Fotostudien bildet Laserpitium siler (Berg-Laserkraut) einen hübschen Farbkontrast zum schwarzroten Kohlröschen. Als ich gerade eine Nigritella rhellicani im immer noch flach einfallenden Licht fokussiere, landet ein Scheckenfalter auf ihr. Als weitere Nigritella-Bestäuber sind eine Hummel und ein Widderchen aktiv.
Weiter laufe ich zur Berghütte La Remointsette und von dort aus zur Seilbahn. Ihr folge ich nach oben zur Station, wo in 2470 Metern Höhe ein Restaurant zur Mittagspause einlädt. Danach lockt mich der Wegweiser zum Illhorn-Gipfel. Zuerst geht es seitlich an einer Kuppe nur leicht hinauf. Hier blühen auch noch viele Nigritellen, die in noch höheren Lagen aber immer spärlicher werden. Dafür sehe ich jetzt großblütige Viola biflora (Zweiblütiges Veilchen), Arnika und Margeriten. Vor dem letzten, dann etwas steileren Aufstieg öffnet sich nach rechts der Blick auf den türkisfarbenen Ilmsee. Auch wenn jetzt immer mehr Wolken aufziehen, habe ich auf dem Gipfel in 2717 Metern Höhe einen großartigen Blick ins tief unter mir liegende Rhone-Tal und auf die schneebedeckten Berge der Umgebung.
Nach dem Abstieg gehe ich unterhalb der Seilbahnstation zunächst eine Weile in Richtung Lac Noir, dann unterhalb von La Remointsette auf Nigrittellen-Suche. Ich finde neben hübschen Gruppen von dunkelroten Köpfchen auch noch ein schöne gelb blühende Pflanze. Nur die Uhr mahnt mich, diese besonderen Bergwiesen zu verlassen und wieder nach Chandolin zu laufen. Dabei sehe ich noch einmal eine Neotinea ustulata. Die letzten Fotos der Wallis-Reise aber gelten einem gelben Papaver alpinus (Alpen-Mohn).
Wieder im Dorf nehme ich an der kleinen Bar vor dem Hotel Plampras Abschied von Chandolin und seiner Bergwelt. Der Postbus bringt mich um 17.43 Uhr wieder ins Tal, nach Sierre. Von dort geht es mit dem Zug nach Visp und weiter nach Basel. Dort steige ich noch in den Nachtzug ein, nach 17 Stunden Fahrt bin ich schließlich zurück in Berlin.
Artenliste
- Dactylorhiza viridis
- Gymnadenia conopsea
- Neotinea ustulata
- Nigritella rhellicani
- Pseudorchis albida