Trentino

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Die Berge am nördlichen Gardasee sind schon länger ein Wunschziel. Für die botanischen Reize des Monte Baldo ist es im April noch zu früh, der Gipfel ist noch schneebedeckt. Aber dafür lockt etwas nördlicher die besondere Gardasee-Ragwurz (Ophrys benacensis). 

 

Ankunft in Arco

Der Zug bringt mich am 25. April 2022 über die Alpen. In Rovereto steige ich aus und lasse mich von einem Taxi nach Arco bringen. Die kleine Stadt nördlich vom Gardasee liegt zwischen einem steilen Felsen mit mittelalterlicher Burganlage und dem Flüsschen Sarca und ist mir auf Anhieb sympathisch. Sie soll Ausgangspunkt von Wanderungen in den nächsten Tagen sein.

arco

Ich quartiere mich in einem kleinen Hotel ein und nutze die Zeit bis zum Abend für einen ersten Ausflug. Ich laufe nach Westen zur Kirche von Varignano und dann eine kleine Landstraße den Berg hinauf. Dabei lasse ich mich von Hinweisen leiten, die mir Marco Klüber zu seiner Trentino-Reise gegeben hat. Bald stoße ich auf erste interessante Pflanzen wie den Blauroten Steinsamen (Aegonychon purpurocaeruleum), dessen tiefblaue Blüten an einer Straßenböschung leuchten. Die zu den Borretschgewächsen (Boraginaceae) gehörende Pflanze ist ein Beispiel dafür, dass es nicht nur bei den Orchideen immer wieder zu taxonomischen Debatten kommt - sie wird nämlich auch wahlweise den Gattungen Buglossoides oder Lithospermum zugeordnet.

aegonychon purpurocaeruleum

centranthus ruberIn den Felswänden fängt die Rote Spornblume (Centranthus ruber) an zu blühen - ein weiteres Indiz, dass ich mit der Alpenüberquerung jetzt in der mediterranen Flora angekommen bin. Die zu den Baldriangewächsen gehörende Art hat markante Laubblätter, die gegenständig angeordnet sind. Sie wird mir auf dieser Reise immer wieder begegnen.

 

 

 

 

 

Das trifft auch auf die Kugelblume (Globularia bisnagarica) zu, die als Kalkanzeiger auf felsigen Böden zwischen Olivenhainen auftritt.

 

 

  

globularia

Doch genug mit der Ruderalflora, wie mein Schweizer Freund Klaus Hess sagen würde. Am Rand der Straße nach Padaro sehe ich an einem Trockenhang die erste Orchidee der Reise, eine abblühende Spinnen-Ragwurz (Ophrys sphegodes).

ophrys sphegodes 1

Und etwas oberhalb blüht auch die Ragwurz, wegen der ich zum Gardasee kommen wollte, die Gardasee-Ragwurz (Ophrys benacensis) aus der Gruppe von Ophrys bertolonii. Sie ähnelt sehr der Ophrys aurelia in Südfrankreich, unterscheidet sich von ihr durch die meist etwas größeren Petalen und den ansatzweise vorhandenen Knick in der Lippe - ähnlich wie bei Ophrys bertolonii. Hingegen hat Ophrys benacensis eine langgestreckte, manchmal auch rundlichere, aber stets gerade Lippe ohne Knick.

ophrys benacensis 1

lathyrus sphaericus

 

 anacamptis morio 1

Hier blüht auch das Kleine Knabenkraut (Anacamptis morio). Schließlich fällt mir noch ein hübscher Schmetterlingsblüter ins Auge, die Kugelsamige Platterbse (Lathyrus sphaericus). Sie kommt vor allem im Mittelmeerraum und in Nordafrika vor und hat sehr lange schmale Blätter.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Monte Brione

Am nächsten Tag, dem 26. April, habe ich mir den Monte Brione als Ziel vorgenommen. Die Kuppe mit einer Meereshöhe von nur 376 Metern ist eine markante Erhebung mit drei steil abfallenden Seiten. Von Arco aus laufe ich durch Obstplantagen mit dicht nebeneinander gepflanzten Bäumen zur Westflanke des Monte Brione. Im Dorf Sant' Alessandro führt ein Weg auf die Höhe hinauf. Eine Informationstafel sagt, dass es hier 25 Orchideenarten gibt. Und gleich um die Ecke blüht auf der Wiese ein stattliches Affen-Knabenkraut (Orchis simia).

 orchis simia 1

Etwas höher hinauf zeigen blau und rosa blühende Kreuzblumen (Polygala) den Kalk im Boden an. Hier stoße ich auf eine austreibende Stendelwurz (Epipactis spec.) und knospende Violette Dingel (Limodorum abortivum).

epipactis

 limodorum abortivum

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

orchis simia 2

Im Regen wirkt Anacamptis morio besonders frisch, mit dunkelpurpurnen Blüten.

anacamptis morio 2

Im nördlichen und höheren Gelände des Monte Brione wird es waldiger. Am Rand blüht der Ginster, der Diptam treibt seine nach Zitrone duftenden Knospen aus.

diptam

Im Wald blüht das Schwertblättrige Waldvögelein (Cephalanthera longifolia). Auf dem Weg ins Tal fällt mir im Regen der Gallische Tüpfelfarn (Polypodium cambricum) auf, ebenfalls eine mediterrane Art.

cephalanthera longifolia 1 polypodium

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auch wenn ich mich vom Monte Brione verabschiede, habe ich ihn in den kommenden Tagen immer wieder vor mir. Das Felsmassiv ist von allen Seiten immer wieder neu zu sehen.

monte brione  

Am Tennosee

Am 27. April laufe ich nach Westen zum Städtchen Tenno. Zwischen Olivenhainen und Weinbergen bedeckt das Rote Seifenkraut (Saponaria ocymoides) die Felsen und begeistert auch den Schwalbenschwanz.

schwalbenschwanz

Auf meiner Wanderung habe ich erst den Gardasee vor Augen, dann das Städtchen Tenno mit seiner markanten Burganlage. 

tenno

Der Tennosee liegt hingegen ganz versteckt in einer Senke. Das azurblaue Wasser lädt zum Träumen ein wie die langsamen Bewegungen der Fische, die sich zu sonnen scheinen.

tennosee

 

tenno fische

In den lockeren Wäldern rund um den See blüht das Leberblümchen (Hepatica nobilis), das ich schon lange nicht mehr gesehen habe.

hepatica nobilis

Ich laufe noch weiter das Tal hinauf, einem Hinweis auf das Bleiche Knabenkraut (Orchis pallens) folgend. Aber das bezeichnete Waldgebiet ist eingezäunt, ohne dass die gelblichen Blütenstände zu erkennen wären. So geht es wieder zurück, mit einer ausgedehnten Pause in Tenno. Doch ganz ohne Orchideen soll der Tag nicht bleiben. Im Licht der langsam sinkenden Sonne blüht auf einer Wiese eine hübsche Orchis simia.

orchis simia 3

Zu den Hängen des Monte Corno

am 28. April laufe ich nach Süden, folge erst dem Lauf des Sarca und gehe dann durch Wein- und Obstplantagen. Interessanter wird die Landschaft, als ich der Ebene den Rücken kehre und in ein Hügelgebiet mit schönen Magerwiesen gelange, die von blühenden Manna-Eschen (Fryxinus ornus) gesäumt werden. Hier blühen auch Anacamptis morio und Ophrys benacensis - mit Blick auf den Gardasee, nach dem die Art benannt ist: Der Lago di Bènaco erinnert wiederum an die keltische Gottheit Benacus.

anacamptis morio 3

 

ophrys benacensis 2

Neben den verbreiteten Kugelblumen schmiegen sich hier auch die Rosetten der Dach-Hauswurz (Sempervivum tectorum) an den kargen Boden.

sempervivum tectorum

Danach treffe ich in der kleinen Ortschaft Nago ein, die zusammen mit dem tiefer gelegenen Nachbardorf die Gemeinde Nago-Torbole bildet. Nach einem Espresso laufe ich in östlicher Richtung weiter, am Südhang des Monte Corno. Der Weg führt an Oliven-Terrassen vorbei zur Kapelle von San Tomè, wo sich der Blick über den Gardasee weitet.

oliven

 

san tome

 

  gardasee

An einem Magerwiesenhang blühen etwa 15 Ophrys benacensis. Die kleine Gruppe zeigt eine große Vielfalt hinsichtlich des Mals auf der Lippe und der Färbung von Sepalen und Petalen.

ophrys benacensis 3

neottia nidus avis 1pseudoturritis turrita

 

Oberhalb der Kapelle komme ich in einen Wald, wo in etwa 500 Metern Höhe die Vogelnestwurz blüht (Neottia nidus-avis). Außerdem sehe ich interessante Kreuzblütler: Die Mondviole (Lunaria annua) blüht blau im schattigen Unterholz, und die Turmgänsekresse (Pseudoturritis turrita) lässt am Waldrand ihre Schoten herabhängen.

 

 

 

 

 

 

 

bei Padaro

  anacamptis morio 4

Am 29. April setze ich den Weg fort, den ich am ersten Nachmittag nach der Ankunft in Arco ein Stück weit erkundet hatte. Diesmal laufe ich über das Dorf Chiarano hinauf, wo ich an der Chiesa di Sant'Antonio Abate besondere Fresken anschaue. Bald bin ich wieder an dem schon besuchten Standort, diesmal mit mehr Zeit und besserem Licht. Jetzt laufe ich weiter die kleine Straße entlang und gelange zu einem ausgedehnten Magerwiesenhang mit Kugelblumen, Sonnenröschen (Helianthemum) und Anacamptis morio.

ophrys sphegodes 2

Auch die Spinnen-Ragwurz ist noch mit schönen Blüten zu sehen. Ihre Lippen sind meist rundlich, die Petalen grünlich. Es gibt aber auch eine Pflanze mit einer länglichen Lippe, einem an Ophrys benacensis erinnernden Mal und farbigen Petalen. 

 

 

 

ophrys sphegodes 3



 

cephalanthera longifolia 2

 

 

Oberhalb von Padaro beginnt ein dichterer Wald, in dem das Schwertblättrige Waldvögelein zuhause ist. Diese Pflanze hat ungewöhnlich weit geöffnete Blüten. Die Böschungen der kaum befahrenen Straße zieren wunderschöne Felsgärten. In etwa 500 Metern Höhe streckt eine 21 Zentimeter hohe Ophrys benacensis drei Blüten und eine Knospe nach oben.

 

 

ophrys benacensis 4

 

adiantum capillus venerisneotinea tridentata 1

 

Auf dem Rückweg folge ich einem kleinen Pfad durch den Wald. An einem Felsen rieselt ein kleiner Bach herab, das ist ein idealer Standort für den Frauenhaarfarn (Adiantum capillus-veneris).

Und im Unterholz am Rand einer Weide begegnet mir ganz klein am Boden noch ein knospendes Dreizähniges Knabenkraut (Neotinea tridentata).

 

 

 

 

 

Santa Maria di Laghel

Am 30. April folge ich einem Kreuzweg und gelange in das Làghel-Tal. An der Kirche Santa Maria di Làghel öffnet sich das Tal und lädt zu einem Rundweg ein.

laghel

Eine Tafel erinnert an Rainer Maria Rilke, der sich hier zu diesem Gedicht inspirieren ließ:

Casablanca

Am Berge weiß ich trutzen
ein Kirchlein mit rostigem Knauf,
wie Mönche in grauen Kapuzen
steigen Zypressen hinauf.

Vergessene Heilige wohnen
dort einsam im Altarschrein;
der Abend reicht ihnen Kronen
durch hohle Fenster hinein.

Kugelblumen lassen mich auf Orchideen hoffen. Aber auf dem ganzen Weg begegnet mir nur eine Cephalanthera longifolia. Und ich werde von einer Smaragdeidechse aufmerksam beäugt.

smaragdeidechse

In dem lockeren Wäldchen sehe ich eine für mich neue Polygala-Art, die Buchs-Kreuzblume (Polygala chamaebuxus), die mal violett, mal weiß blüht.

 

polygala chamaebuxus

am Monte Velo

Am Maifeiertag laufe ich über die Sarca-Brücke nach Bolognano und dann in Serpentinen hinauf über die Kapelle Salve Regina zur Einsiedlerkirche San Giacomo. Auf meinem Weg sehe ich Cephalanthera longifolia und die charakteristischen Blätter des Großen Zweiblatts (Neottia ovata), aber auch Leberblümchen und das Lungenkraut (Pulmonaria officinalis) mit seinen verschiedenfarbigen Blüten.

pulmonaria

Schließlich treffe ich in der Berghütte Malga Zanga ein. Eigentlich will ich in 1100 Metern Höhe nur ein Bier trinken. Aber in der kleinen Runde am Tisch ist es so gesellig, dass ich auch ein warmes Essen bekomme und Stefania mir von einem besonderen Montefalco Sagrantino des Jahrgangs 2013 einschenkt. In der Zwischenzeit zieht ein heftiges Hagelgewitter über die Berge. Der Abstieg ins Sarca-Tal beginnt so mit Veilchen on the rocks.

veilchen

 

Pianaura und Monte Ben

Für den letzten Exkursionstag in den Bergen am nördlichen Gardasee habe ich mir auf der Karte einen Wanderweg nordöstlich von Arco ausgesucht. Erneut überquere ich die Sarca-Brücke und laufe durch das kleine Dorf San Martino durch den Bosco Caproni, benannt nach dem Luftfahrpionier Gianni Caproni (1886-1957). An felsigen Hängen sind noch die letzten blühenden Ophrys sphegodes zu sehen.

ophrys sphegodes 4

Vorbei an alten Felsgravierungen komme ich zu einem schönen Kastanienhain mit zahlreichen Cephalanthera longifolia, Neottia ovata, Anacamptis morio, Limodorum abortivum und Neotinea tridentata. Die kleine Senke heißt Pianaurea, goldene Ebene.

neottia ovata 1

 

neotinea tridentata 2

Ich steige den Monte Ben hinauf und passiere das verträumte Dorf Troiana. Dahinter überrascht mich auf einer Wiese mit Kastanienbäumen eine gelb blühende Orchidee. Es ist das Holunder-Knabenkraut (Dactylorhiza sambucina), In 750 Metern Höhe steht es in voller Blüte.

dactylorhiza sambucina 1

Beim Abstieg von der Siedlung Carobbi noch eine Überraschung: Hier blühen an einem Hang gut ein Dutzend Pflanzen des Männlichen Knabenkrauts (Orchis mascula). Nach Giorgia Perazza und Michela Decarli Perazza (Cartografia Orchidee Tridentine, 2004) kommt im Trentino ausschließlich die Subspezies Orchis mascula subsp. speciosa vor - in der Betrachtung der spitz verlängerten Sepalen erinnere ich mich an die ähnlichen Pflanzen bei Bayerischzell. Auffallend ist, dass die Stängel im unteren Bereich ebenso wie die Basis der Laubblätter dunkelrot gepunktet sind.

orchis mascula 1

Kurz vor der Rückkehr ins Sarca-Tal will ich den Ophrys sphegodes noch einen Abschiedsblick zuwerfen, da entdecke ich zwei apochrome Spinnen-Ragwurze, also ohne die dunkelbraune Lippenfärbung. Stattdessen ist die Lippe gelblich-grün mit weißem Mal. Solche Formen kommen selten vor, wenn bei der Bildung von Farbpigmenten ein genetischer Defekt auftritt. Bei Ophrys sphegodes habe ich das bisher noch nie gesehen - das ist eine besondere Ergänzung meiner Studien bei albiflora.eu.

ophrys sphegodes 5

Artenliste

  • Anacamptis morio
  • Cephalanthera longifolia
  • Dactylorhiza sambucina
  • Epipactis spec.
  • Limodorum abortivum
  • Neotinea tridentata
  • Neottia nidus-avis
  • Neottia ovata
  • Ophrys benacensis
  • Ophrys sphegodes
  • Orchis mascula subsp. speciosa
  • Orchis simia