hinterm Nordseestrand
Amselgesang weckt uns am frühen Morgen im Zelt auf dem Campingplatz von Thisted , direkt am Ufer des Limfjords in Nordjütland. Eine ganz bestimmte Pflanze hat Christiane und mich hierher gelockt, die von Henrik Ærenlund Pedersen als Dactylorhiza majalis subsp. calcifugiens beschrieben wurde und endemisch für die dänische Region Thy ist. Der 2004 erschienene Aufsatz im Nordic Journal of Botany nennt einige Standorte dieses weiß blühenden Knabenkrauts, die auch auf der Website Danmarks Orkidéer angezeigt werden.
Am 12. Juni 2012 fahren wir zuerst in nordwestlicher Richtung nach Aabybro, wo wir westlich davon in einem als Sandmosen bezeichneten Gebiet die Suche nach der Pflanze aufnehmen - leider ohne Erfolg. Im Graben sehen wir die großen gelben Blüten von Iris pseudacorus. Dann fahren wir weiter nach Aalborg, schauen uns die Stadt an und besichtigen die Domkirche mit einer Holzkanzel aus dem Jahr 1692. Auf dem Rückweg fahren wir an die Nordseeküste heran, machen halt in dem Fischerdorf Lild Strand. Dort laufen wir nordwestlich des Ortes in die Dünen, finden das besondere Knabenkraut aber auch hier nicht. So begnügen wir uns mit den Schönheiten der Dünenflora, darunter Rosa pimpinellifolia, Rosa rugosa, Armeria maritima und - in einer feuchten Stelle - Pedicularis palustris.
Am nächsten Tag unternehmen wir einen zweiten Anlauf zu einem anderen Standort bei Lild Strand. Diesmal gehen wir nach Südwesten und dann über die Dünen, bis wir zu einem ausgedehnten Feuchtgebiet gelangen, von weitem zu erkennen an den weißen Knäueln des Wollkrauts (Eriophorum angustifolium). Ein weiterer Hinweis auf sauren Moorboden ist der Fieberklee (Menyanthes trifoliata). Und dann sehen wir auch das auf sauren Boden angewiesene weiße Knabenkraut, Dactylorhiza majalis subsp. calcifugiens. Es sind nur drei Pflanzen, das größte acht Zentimeter, knospig bis gerade erst aufblühend.
Am 14. Juni haben wir viel Wind, es ist ziemlich kühl, der Himmel ist aber nur leicht bewölkt. Unser Tagesziel ist ein als Nissekær bezeichnetes Gebiet nahe der Siedlung Glæde. Die kleine Straße endet an einem Parkplatz am Meer. Von dort laufen wir hinter dem Dünenkamm in nördlicher Richtung und schließlich landeinwärts in eine ausgedehnte Senke hinein. Hier blühen zahlreiche Dactylorhiza majalis subsp. calcifugiens - in einem engeren Umkreis zähle ich etwa 40 Pflanzen; insgesamt schätze ich den Bestand auf mindestens 150 Pflanzen. Zur Begleitflora gehören Torfmoos (Sphagnum palustre), Teich-Schachtelhalm (Equisetum fluviatile), Wollgras (Eriophorum angustifolium), Fieberklee (Menyanthes trifoliata), Moosbeere (Vaccinium oxycoccus), Besenheide (Calluna vulgaris), Siebenstern (Trientalis europaea) und sogar Sonnentau (Drosera rotundifolia). Unter den niedrig wachsenden Büschen dominiert der Gagelstrauch (Myrica gale), der von der Bierbrauerei in der nahegelegenen Stadt Thisted zum Bierbrauen verwendet wird.
Etliche Dactylorhiza majalis subsp. calcifugiens sind schon in voller Blüte, andere noch knospend. Einige Pflanzen sind recht kräftig, bis zu 31 cm groß. Die Blätter sind spitz lanzettlich, gekielt, seitlich oder nach oben gerichtet und meist relativ schmal. Die Einzelblüten sind weiß, manchmal mit einem gelblichen Rand um die Narbenhöhle. Der Sporn ist etwa so lang wie der Fruchtknoten, nach unten geneigt. Die Lippe ist nur schwach dreiteilig, gerundet. Die seitlichen Sepalen stehen waagrecht ab.
Mit den Füssen im Sumpf und einem steifen Wind sind Makro-Aufnahmen der Blüten eine Herausforderung. Wir stapfen weiter durch das nasse Moor und sehen schließlich auch ein violett blühendes Knabenkraut - vielleicht das Gefleckte Knabenkraut (Dactylorhiza maculata) oder eine Hybride mit Dactylorhiza majalis subsp. calcifugiens.
Am nächsten Tag fahren wir nach Hanstholm und laufen auf der Erhebung mit dem Leuchtturm durch eine schöne Dünenlandschaft mit Sanddorn, Rosen, Grasnelken und Beinwell (Symphytum officinlae). In der kleinen Kirche neben dem Leuchtturm gibt es einen hübschen Flügelaltar.
Dann fahren wir weiter zum Nors-See im Naturschutzgebiet Thy.
Am Ufer wachsen etwa 50 Pflanzen des Fleischfarbenen Knabenkrauts (Dactylorhiza incarnata), am Hang auch große Bestände der Pechnelke (Lychnis viscaria).
Auf einem Rundweg durch die Dünenlandschaft und einen angrenzenden Wald fallen uns viele schöne Gräser auf, darunter das Zittergras (Briza media) und das Pfeifengras (Molinia coerulea). An einer feuchten Stelle blüht das Fettkraut (Pinguicula vulgaris), davor sitzt eine dicke Kröte.
Am 16. Juni, unserem letzten Tag in Nordjütland, fahren wir ein zweites Mal in das Moorgebiet von Nissekær. In der von Dünen umgebenen Senke in West-Ost-Ausrichtung mit einer Länge von etwa 1,5 Kilometern erstreckt sich das Orchideen-Biotop über etwa 250 Meter.
Wir studieren nochmals die violett blühende Dactylorhiza, finden eine weitere violett blühende Pflanze, die noch ganz in Knospen ist und beobachten eine Schwebfliege an einer der großen Calcifugiens-Pflanzen.
Diesmal gehen wir auch den nördlichen Rand des Moorgebiets ab. Dort wächst neben zahllosen Eriophorum angustifolium und vielen Menyanthes trifoliata auch das Sumpf-Blutauge (Potentilla palustris).
Das jütländische Knabenkraut gibt weiter Rätsel auf, nicht nur für die Taxonomie. Wolfgang Eccarius betrachtet die Pflanze in seiner 2016 erschienenen Dactylorhiza-Monographie lediglich als weiß blühende Form von Dactylorhiza sphagnicola. Hinter den Nordseedünen von Jütland leben die Pflanzen in der feuchten Niederung von Nissekær ihre eigene Antwort.
Artenliste:
- Dactylorhiza majalis subsp. calcifugiens
- Dactylorhiza incarnata