Die Orchideen im Norden von Griechenland sind unser Reiseziel im heißen Juni 2013: Zusammen mit Klaus fliege ich am 15. Juni nach Preveza. Wir wollen Frivalds Händelwurz - Gymnadenia frivaldii - und das Herzförmige Knabenkraut - Dactylorhiza cordigera - sehen und die Natur in Epirus und Westmakedonien erkunden, im bergigen Grenzgebiet zu Albanien und Mazedonien.
Steineichen mit Riemenzunge
Vor der Stadt Ioannina führt die Straße durch eine reizvolle Gebirgslandschaft. In etwa 620 Metern Höhe stellen wir unseren kleinen Mietwagen am Straßenrand ab und erkunden einen Südhang mit Steineichen und Magerwiesenflora: Hier wachsen unter anderem die Zarte Skabiose (Scabiosa tenuis), der Natternkopf (Echium vulgare), eine schöne rosa Nelke: Dianthus viscidus (der Gattungsname bedeutet Blume des Zeus, Dios anthos), die Ackerwinde (Convolvulus arvensis) und die Ockergelbe Fetthenne (Sedum ochroleucum). Schließlich sieht Klaus auch die erste Orchidee: Himantoglossum caprinum. Die Pflanze ist schon etwas angegriffen. Macht nichts, wir werden noch viele sehen, sagt er. Aber sie bleibt bis zum Ende der Reise die einzige Ziegen-Riemenzunge, die wir finden.
An einem heißen Tag mit Temperaturen über 40 Grad setzen wir uns auf dem Weg nach Konitsa in ein Straßencafé und trinken unter einer großen alten Platane Kaffee. Dort laufen wir noch an einer Wiese entlang und finden am Wegrand gleich eine etwa 50 cm hohe, langgestreckte Pyramiden-Hundswurz (Anacamptis pyramidalis). Dann kommen wir zu einer schönen Magerwiese mit der weiß blühenden Strahlen-Breitsame (Orlaya grandiflora), die uns immer wieder begegnen wird.
Pieksig und eindrucksvoll recken sich die Blütenstände des Balkan-Bärenklau (Acanthus balcanicus oder Acanthus hungaricus) nach oben.
Wildromantisches Aoos-Tal
Nach unserer Ankunft in Konitsa bleibt noch Zeit für eine Wanderung ins Taal der Aoos. Der Fluss fließt nach Nordwesten und mündet in Albanien in der Adria, dort heißt er Vjosa.
Wir überqueren eine alte Steinbrücke und laufen auf dem schmalen Pfad ins Tal hinauf. Dort entdeckt Klaus am Hang eine Gruppe von Roten Waldvögelein (Cephalanthera rubra).
Noch etwas weiter flussaufwärts finde wir eine Bienen-Ragwurz (Ophrys apifera) und ein Fuchs-Knabenkraut (Dactylorhiza fuchsii). Nicht weniger interessant ist die übrige Flora: Wir bestimmen unter anderem die Großblütige Bergminze (Calamintha grandiflora), den zu den Enzian-Gewächsen (Gentianaceae) gehörenden Bitterling (Blackstonia perfoliata) und eine gelb blühende Lotwurz (Onosma heterophyllum).
Botanischer Höhepunkt des Tages ist aber der Serbische Felsenteller (Ramonda serbica), den Klaus im oberen Tal findet, als die Aoos nur noch ein wildes schmales Bächlein ist.
Auf dem Rückweg sehen und hören wir eine Gebirgsstelze (Motacilla cinerea) mit ihrem aufgeregten Warnruf, das Weibchen antwortet auf der anderen Flussseite.
Ins Pindos-Gebirge
Am nächsten Morgen brechen wir in Richtung Kastoria auf, vor uns das Pindos-Gebirge. Unterwegs erkunden wir in 740 Metern Höhe eine Wiese mit Anacamptis pyramidalis, wieder viele mit auffallend hohem Wuchs und schlankem Stängel. In einem anschließenden Wäldchen mit Eichen und Wacholder entdecken wir eine Zierliche Stendelwurz (Epipactis persica subsp. exilis), die gerade erst aufblüht. Für das eingehende Studium fehlt uns etwas die Ruhe, da sich eine Ziegenherde durchs Unterholz frisst, begleitet von etlichen Hirtenhunden, die uns lautstark verbellen.
Ein paar Kilometer weiter schauen wir uns an einem kleinen Bach mit einer alten Steinbrücke um. Auch hier blühen wieder viele Anacamptis pyramidalis. Auf der Wiese fallen uns die Borstige Glockenblume (Campanula cervicaria) und die Nizza-Kreuzblume (Polygala nicaeensis) auf, auch mit weißen Blüten. Etliche Falter wie der Baumweißling (Aporia crataegi) laben sich an dem reichen Nektarangebot.
Klaus hat das richtige Auge für Ophrys: Er findet im Gras eine Epirus-Ragwurz (Ophrys mammosa subsp. epirotica), die deutlich später blüht als die Stammart.
Am Abend treffen wir in Kastoria ein und freuen uns nach der etwas mühsamen Fahrt durch enge Gassen an der besonderen Aussicht auf den See. Wir finden Unterkunft in der Pension Filoxenia, hoch über den Dächern der Stadt mit ihren zahllosen alten Kirchen. Beim Abendessen haben wir das Vitsi-Massiv am anderen Seeufer vor Augen, unser nächstes Ziel.
Orchideenparadies Vitsi
Am 17. Juni fahren wir in den Wald unterhalb des 2113 Meter hoch gelgenen Vitsi-Gipfels, wo sich rund um einen alten Flugplatz in 1550 Metern Höhe eine ausgedehnte Feuchtwiese erstreckt. Dort wachsen einige hundert Exemplare des Herzförmigen Knabenkrauts (Dactylorhiza cordigera). Das sind herrliche, kräftige Pflanzen mit gefleckten Blättern und dunkelviolett gefärbten Blüten in einem dichten Blütenstand. Die herzförmige Lippe der Blüten ist dreilappig und hat einen leicht gewellten Rand, ein Linienmuster und einem helleren Grund.
Viel kleiner und überall dazwischen, im feuchten Moos, wächst Frivalds Händelwurz (Gymnadenia frivaldii), mit kleinen weißlich-rosa gefärbten Blüten.
Wir schauen uns stundenlang in diesem kleinen Paradies um. Auch andere Pflanzen sind hier sehr besonders. Weite Flächen sind bedeckt von den kleinen rosa Blütenköpfchen der Ährenheide (Bruckenthalia spiculifolia). Die Orangerote Nelkenwurz (Geum coccineum) leuchtet am Waldrand. Weiße Tupfer setzt das Wollgras (Eriophorum angustifolium), rosarote eine besonders schöne Nelke, Dianthus tristis.
Manche Knabenkräuter sind heller blühend, einige haben eher schmal zugespitzte, anderen breit-löffelförmige Blätter. Der Blütenstand ist mal gedrungen, mal ungewöhnlich lang, einige Pflanzen sind gut 40 cm hoch.
Schließlich entdeckt Klaus auch eine Hybride von Dactylorhiza cordigera und Gymnadenia frivaldii mit drei bis vier sehr schmalen, ungefleckten Blättern und kleinen rosa Blüten. Die an einem Abhang wachsende Pflanze ist 18 cm groß. In der unmittelbaren Nachbarschaft wachsen sowohl Dactylorhiza als auch Gymnadenia. Wir freuen uns sehr über den besonderen Fund.
Immer weiter erkunden wir die ausgedehnte Feuchtwiese. In der unteren Senke gibt es eine Gruppe mit etwa zehn Lockerblütigen Knabenkräutern (Anacamptis laxiflora). Und schließlich finden wir auch an drei Stellen eine weiß blühende Dactylorhiza cordigera! Unter mehr als 1000 Pflanzen mit dunkelvioletten Blüten - das entspricht etwa der zu erwartenden Häufigkeit von genetisch bedingten Albiflora-Mutationen.
Ein letzter Blick zum Vitsi-Gipfel, dann fahren wir zurück zum Kastoria-See und sichten abends im Ufer-Restaurant Fotos und Eindrücke.
Am 18. Juni fahren wir ein zweites Mal ins Vitsi-Massiv hinauf. Zunächst erkunden wir einen Graben auf der rechten Seite, unterhalb der großen Feuchtwiese, mit Dactylorhiza cordigera und Gymnadenia frivaldii. Dann nutze ich auf der großen Wiese das reizvolle Morgenlicht für Fotoporträts von Gymnadenia frivaldii.
Auch Dactylorhiza cordigera fühlt sich in dem feuchten Graben wohl.
Schließlich fahren wir noch etwas höher hinauf. Am Waldrand finden wir das Holunder-Knabenkraut (Dactylorhiza sambucina) in beiden Farben. In den unteren Lagen sind die Pflanzen verblüht, aber je höher wir kommen, desto eher finden wir Pflanzen, die noch in voller Blüte stehen. Unterhalb des Gipfels machen wir Mittagspause, schauen einem Segelfalter zu und entdecken überraschend zwei Dreizähnige Knabenkräuter (Neotinea tridentata).
Lange laufen wir dann über eine Hochebene mit vereinzelten Dactylorhiza sambucina. Schließlich sehe ich auf einer Waldlichtung schon von weitem zwei hochaufragende, einzeln stehende Orchideen - das Kiefernwald-Knabenkraut (Orchis mascula subsp. pinetorum). Diese Unterart hat einen etwas reicher besetzten Blütenstand und kommt vor allem in der Türkei vor. Wir sind überrascht, hier eine Orchis zu finden, da es in der Literatur für diese Region keinerlei Hinweise darauf gibt.
Auf einer weiteren Bergwiese finden wir dann noch sechs weitere Neotinea tridentata. Etwas tiefer, unterhalb der Wiese von gestern, sehen wir durch den Wald das Orangerot der Nelkenwurz - da ist es doch bestimmt feucht.
So gelangen wir in ein kleines Tal, ringsum von Wald umgeben, durch das ein kleiner Bach fließt. An den Ufern wachsen auch hier Dactylorhiza cordigera und Gymnadenia frivaldii. Die Knabenkräuter sind mitunter hellerblütig, wir laufen vorsichtig durchs Gras, andächtig an diesem idyllischen Ort.
Lilien der Madonna
Am 19. Juni erkunden wir die Umgebung von Kastoria, die Halbinsel rund um den Athanasios-Hügel. Zu meinem Leidwesen ein Tag ohne Orchideen - aber mit anderen botanischen Besonderheiten wie der Madonnen-Lilie (Lilium candidum), Akanthus (Acanthus balcanicus), Waldrebe (Clematis viticella) und anderen Pflanzen, mit deren Bestimmung wir uns schwer tun. Viele Schmetterlinge flattern durch den sonnigen Tag, darunter der Schwalbenschwanz, das Damenbrett und der Birkenzipfelfalter. Unser Ziel ist das byzantinische Kloster Panagia Mavriotissa. Abends schauen wir uns einige der vielen kleinen Kirchen in Kastoria an.
Hinauf zum Smolikas
Am 20. Juni verlassen wir das anmutige Städtchen am See. Unser erstes Ziel ist eine etwa 1000 Meter hoch gelegene Waldregion bei Pevko. Hier laufen wir einen Bach entlang und finden am Ufer das Sackspornige Knabenkraut (Dactylorhiza saccifera). Die Lippe der Blüten ist stark dreigeteilt, mit einem klaren Linienmuster. Die etwa acht Pflanzen blühen gerade erst auf, an den unteren Blüten ist der sackförmige Sporn deutlich zu erkennen.
An diesem Standort wachsen auch das Rote Waldvögelein (Cephalanthera rubra) und das Große Zweiblatt (Neottia ovata). Weitere Dactylorhiza saccifera finden wir vor dem Ort Chrisi, im Straßengraben wachsen mehr als 30 Pflanzen. Und beim nächsten Halt gibt es auch eine Albiflora-Überraschung: Ein weiß blühendes Fleischfarbenes Knabenkraut (Dactylorhiza incarnata). In der sich darüber anschließenden Wiese finden wir Pyramiden-Hundswurz (Anacamptis pyramidalis), eine abblühende Epirus-Ragwurz (Ophrys mammosa subsp. epirotica), ebenfalls abblühende Lockerblütige Knabenkräuter (Anacamptis laxiflora) sowie Dactylorhiza saccifera und Dactylorhiza incarnata.
Unsere Fahrt geht dann weiter in Richtung Konitsa, aber diesmal machen wir einen Abstecher hinauf zum Smolikas-Massiv, dem mit 2637 Metern zweithöchsten Berg in Griechenland. Wir fahren bis Agia Paraskevi und laufen von dort in Richtung Gipfel.
Durch einen Wald gelangen wir auf eine Hochebene mit Feuchtwiesen. Hier wächst wieder Dactylorhiza saccifera, eine Pflanze sogar weiß blühend, so eine Freude! Zum ersten Mal sehen wir hier auch Baumanns Knabenkraut (Dactylorhiza baumanniana), benannt nach dem deutschen Orchideenforscher Helmut Baumann (1937-2014). Die reich blühende Pflanze hat hellviolette Blüten mit rundlichen Lippen. Auch eine Hybride von Dactylorhiza baumanniana mit Dactylorhiza saccifera können wir bestimmen.
Besonders elegant und prächtig ist das nur hier vorkommende Smolikas-Knabenkraut (Dactylorhiza baumanniana subsp. smolikana) - die Übergänge auf der sehr nassen Wiese sind jedoch fließend. Die Unterart hat einen höheren Wuchsmit einem längeren Blütenstand und großen Blüten.
Am Rand der Wiese wachsen auch die Mücken-Händelwurz (Gymnadenia conopsea), Anacamptis laxiflora und sogar ein Wohlriechendes Wanzen-Knabenkraut (Anacamptis coriophora subsp. fragrans). Erfüllt von so vielen Eindrücken machen wir uns auf den Rückweg, auf dem uns im Wald noch ein Violetter Dingel (Limodorum abortivum) grüßt.
Abschied von Epirus
Unser letzter Tag in Griechenland führt uns von Konitsa über Arta zurück nach Preveza. Unterwegs besuchen wir das Orakel in Dodona.
Artenliste:
- Anacamptis coriophora subsp. fragrans
- Anacamptis laxiflora
- Anacamptis pyramidalis
- Cephalanthera rubra
- Dactylorhiza baumanniana
- Dactylorhiza baumanniana subsp. smolikana
- Dactylorhiza cordigera
- Dactylorhiza fuchsii
- Dactylorhiza incarnata
- Dactylorhiza saccifera
- Dactylorhiza sambucina
- Epipactis persica subsp. exilis
- Gymnadenia conopsea
- Gymnadenia frivaldii
- Himantoglossum caprinum
- Limodorum abortivum
- Neotinea tridentata
- Neottia ovata
- Ophrys apifera
- Ophrys mammosa subsp. epirotica
- Orchis mascula subsp. pinetorum